© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Zeitschriftenkritik: "Karoshi"
Dicht am explosiven Kern
von Ilse Meuter

Nachdem die Radikalität der Anfänge (Marcuse, Horkheimer, Adorno, Pollock, Löwenthal) durch Habermas weichgespült wurde, ist es an der Zeit, die Kritische Theorie neu zu begründen. Dies geschieht zum einen durch Schweppenhäusers exzellente Adorno-Arbeit, die soeben als hundertster Band der Reihe "Zur Einführung" im Hamburger Junius-Verlag erschien; zum anderen arbeitet eine Autorengruppe um die Zeitschriften Krisis an der Erneuerung der denkerischen Matrix, wie sie vor exakt 50 Jahren durch die "Dialektik der Aufklärung" und in den sechziger Jahren verschärft von der "Negativen Dialektik" vorgetragen wurde.

Der kulturrevolutionäre Gestus mag überholt sein – der kritische Zugriff auf die "Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" ist es keineswegs. Was die kritische Theorie der Linken dem Denken der (gesellschaftliche Realitäten oftmals romantisch eskamotierenden "Konservativen Revolution" überlegen sein läßt, ist deren Analyse des Bewegungszentrums moderner Zivilisation: die ökonomische Kritik von Wertform, marktwirtschaftlicher Verkehrsform und warenproduzierender Gesellschaft. Rechte, genauer: konservative Kritik gelangt aufgrund ihres Ansatzes über das Bemosern von Epiphänomenen nicht hinaus; in abstrakter, unbestimmter Negation klagt man einerseits Formen, Werte und Haltungen ein, deren Möglichkeitsbedingungen die andererseits prinzipiell bejahte kapitalistisch organisierte Zivilisation revolutionär abräumt.

Daß hier "rechts" enormer Nachholbedarf besteht, lehrt ein Blick in Karoshi. Der Zweck des Blattes ist es, den Zeitraum zwischen Krisis-Heften zu überbrücken, dessen Autoren überlastet sind. Sie arbeiten mittlerweile als PDS-Braintrust, und das tun sie nicht übel, wie die in Karoshi 1 skizzierten Vorbehalte gegen ein monetaristisch zusammengezwungenes, politisch konzeptloses Euro-Europa zeigt. Schön auch die Guy-Debord-Exegese zum "Ende der Kunst", zur "Gesellschaft des Spektakels": ließ Benjamin die gleichsam träumerischen Menschen des 19. Jahrhunderts im Terror des 20. erwachen, so diagnostiziert Debord einen Alptraum, der zurückliegende Monstrositäten vergessen machen soll: "Das Spektakel ist der schlechte Traum der gefesselten, modernen Gesellschaft, der schließlich nur ihren Wunsch zu schlafen ausdrückt. Das Spektakel ist der Wächter dieses Schlafes." Ist dies nicht das Tiefgründigste, was über das Wesen der Vergangenheitsbewältigung gesagt wurde?

Was eine flau nationalliberale Rechte sich im Fadenkreuz des Verfassungsschutzes verkneift, hier liest man es in wünschenswerter Deutlichkeit: "Die restlose Verwandlung aller Menschen in Verwertungsmonaden des globalen Kapitals darf nicht gelingen. Gegen die totale Herrschaft des Neoliberalismus in Europa! Gegen die Systemparteien in Deutschland – einschließlich der Grünen!" Das klingt radikal und ist es auch. Zudem wagt es sich ungleich näher an den explosiven Kern der sozialen Wirklichkeit heran als es schlechter politischer Romantizismus von rechts vermag. "Karoshi", zeitschrift für den plötzlichen arbeitstod. Mai 1997; c/o HSB, Schulterblatt 23c, 20357 Hamburg. 3 Hefte zu DM 20,–


 
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