© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Franz W. Seidler: Die Kollaboration 1939-1949
"Am besten gleich gestorben"
Rezension
von Ulrich Kriehn

Ausländer, die sich – wie der norwegische Literatur-Nobelpreisträger Knut Hamsun – während des Zweiten Weltkrieges zwischen 1939 und 1945 auf Deutschlands Seite stellten, taten das aus unterschiedlichen Motiven. Der Münchner Militärhistoriker Franz W. Seidler beschreibt in lexikalischer Form 177 Personen aus 28 (!) Nationen, die aus neutralen Ländern kamen (wie der schwedische Asienforscher Sven Hedin und viele Schweizer), aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten (Petain, Laval u.a. in Frankreich) oder sogar – wie der amerikanische Dichter Ezra Pound – zu den Alliierten gehörten. Neben dem lexikalischen Teil, der eine wahre Fundgrube ist und mit umfangreichen Literaturangaben zur weiteren Erforschung dieses zeithistorischen Komplexes geradezu einlädt, gibt Seidler eine zurückhaltend formulierte Einführung in die Gründe für die Kollaboration, ihre Formen und die "Säuberungen" in den "befreiten" Ländern.

Von den wenigen Bildern bleibt eines dem Betrachter besonders deutlich im Gedächtnis haften: Eine barfüßige, kahlgeschorene junge Frau wird von johlenden Männern in Paris verhöhnt, weil sie Kontakt zu deutschen Soldaten hatte. Ich wünschte mir, daß in den Geschichtsbüchern meiner Kinder auch einmal solche Bilder gezeigt würden…

Wie sehr der irrationale Haß wütete, zeigt eine Äußerung der zum Katholizismus konvertierten norwegischen Nobelpreisträgerin Sigrid Undset: Die Kinder aus Beziehungen zwischen norwegischen Frauen und deutschen Soldaten, so die Schriftstellerin, seien "Hurenkinder, die am besten gleich gestorben wären". Es stimmt nachdenklich, daß eine Frau, die mit ihren literarischen Werken den Anspruch erhebt, humanistische Werte zu vermitteln, in einer konkreten Situation derart archaisch reagiert. Von ihrem Gegner Knut Hamsun ist jedenfalls kein solches Wort über englische oder russische Kinder über-liefert.

In dem umfangreichen lexikalischen Teil sind besonders die Motive der Kollaborateure von Interesse. Seidler grenzt Personen, die sich an kriminellen Handlungen beteiligt haben, aus und konzentriert sich auf Leute mit weltanschaulicher, politischer oder sozialer Motivation. In den Vorstellungen von einer neuzugründenden Wirtschaftsmacht Europa, in der Frankreich und Deutschland dominieren sollten, um ein Gegengewicht zu den USA zu bilden, zeigen sich Ideen, die heute wieder auf der Tagesordnung stehen. Auch die kulturelle Integration Europas spielt eine große Rolle. Es ist wenig bekannt, daß Deutschland im besetzten Frankreich den Kulturbetrieb – vor allem die Filmindustrie – nach Kräften förderte, was weder Jean Cocteau noch Henri Clouzot oder Fernandel störte, im Gegenteil: Ernst Jünger beschreibt in seinen Pariser Tagebüchern ausführlich seine guten Kontakte zur Pariser Kultur- und Intellektuellenszene. Speziell auf Frankreich bezogen läßt sich jedenfalls die Behauptung einer deutschen Gewaltherrschaft nicht aufrechterhalten.

Anders verhielt es sich in der damaligen Sowjetunion, wo die deutschen Soldaten zunächst als Befreier vom verbrecherischen Stalin-Regime begeistert empfangen wurden. Wegen ihrer ideologischen Scheuklappen begriffen die NS-Verantwortlichen nicht, daß sie – vor allem in der Ukraine, wo der rote Terror besonders brutal gewütet hatte – hier potentielle Verbündete vor sich hatten. Das bekannteste Beispiel ist der russische General Wlassow, der sich zwar über Hitlers Absichten keinen Illusionen hingab, aber seine Unterstützung der Deutschen als Chance zur Befreiung seines Vaterlandes verstand.

Auch der Gedanke einer gerechteren sozialen Ordnung ohne Klassengegensätze war ein bestimmendes Motiv vieler Kollaborateure, die aus der sozialistischen Tradition kamen und in der Verbindung des sozialen mit dem vaterländischen Gedanken einen zukunftsweisenden Gesellschaftsentwurf sahen.

Über die verwirrende Mischung aus Idealismus, Illusionen und pragmatischer Politik, die bei vielen Kollaborateuren zutage trat, legen die letzten Worte des Nowegers Vidkun Quisling Zeugnis ab, der 1945 wegen seiner Zusammenarbeit mit den Deutschen hingerichtet wurde: "Für mich war Politik nie eine Sache von Parteiinteressen… oder Machtgier. Politik ist für mich Selbstopfer und praktische Arbeit im Dienste der historischen Entwicklung, zum Nutzen des eigenen Landes und zur Verwirklichung des Gottesreiches auf Erden, das mit Jesus begonnen hat."

Seidlers Buch ist ein umfassendes Kompendium zu einem Thema, das bisher meist nur verzerrt dargestellt wurde. Es läßt die Quellen ausführlich zu Wort kommen und überläßt dem Leser die Wertung. Einziger Wermutstropfen ist der vergleichsweise hohe Preis, der besonders auf Schüler und Studenten abschreckend wirken dürfte. Eine baldige Taschenbuchausgabe wäre deshalb sehr zu begrüßen.


 
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