© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
JF sieht in die Zukunft: Gibt es ein Treppenhaus auf der Enterprise
Der virtuelle Wahnsinn
von Ernst Fröhlich
 

"Willkommen im Cyberspace – Ars Electronica Center Linz. Auf fünf Ebenen und nahezu 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche steht dem Besucher dieses Museums neueste Computertechnologie zur Verfügung – zum Kennenlernen, Ausprobieren und Arbeiten. Mit einer Chipkarte als Eintritt bewegt sich der interessierte Museumsbesucher durch das Haus, ein digitales Informationsleitsystem führt, erklärt und gibt Anweisungen zur Benutzung der einzelnen Stationen."

Soweit der Prospekt. Die Realität: Nach anfänglichen Schwierigkeiten, den "richtigen" Eingang zu finden, stehen wir am Empfangsrondell, dem sogenannten "Log-in Gateway". Über ihm hängen – kreisförmig angeordnet – ein Dutzend Fernsehapparate. Keiner von ihnen ist eingschaltet. Die Dame darunter grinst. Fazit: in Zukunft werden Fernseher durch grinsende Damen ersetzt. Nicht schlecht! Über den stinknormalen Kassenbon, den wir anstelle der versprochenen Chipkarte bekommen, tröstet uns ein blaues Kartonkärchen weg, auf dem "cave" zu lesen ist. "Beim cave", erklärt uns die Empfangsdame, "ist pünktlich zu jeder halben Stunde Einlaß". "Der cave" befinde sich außerdem im Keller. "Wollen Sie auch in die cave?" fragt uns die dort beschäftigte Maid. Wir notieren: entweder wird "cave" im nächsten Jahrhundert zu einem ungeschlechtlichen Lehnwort, oder unsere Zukunft ist englisch. Kopfnickend unser Einverständnis bezeugend, brennen wir darauf, endlich zu erfahren, was der/die/das "cave" ist. Wenige Minuten später sind wir schlauer: die – nennen wir sie simpel "Höhle" ist ein 3 mal 3 mal 3 Meter großer Raum mit Wänden aus Leinen, auf die von außen ein interaktives Computerprogramm projiziert wird. Die nun virtuelle Reise führt uns durch surreale Welten, deren räumliches Erleben durch die 3-D-Brille absolut real wirkt. Wir latschen über Abgründe hinaus und locker durch die Luft weiter, betrachten unsere Umgebung aus der Frosch- oder aus der Vogelperspektive, wie es uns beliebt. Und durch Hindernisse marschieren wir einfach durch.

Wir stapfen weiter nach oben. In dem blau gestrichenen Treppenhaus, dessen verchromtes Geländer durch verborgene Beleuchtung geheimnisvoll schimmert, fühlen wir uns wie im Raumschiff Enterprise. Im Zwischengeschoß treffen wir auf "Humphrey". Humphrey ist ein virtueller Hängegleiter, mit dem wir über ein virtuelles Oberösterreich segeln können. Aufgeregt wie wir sind, bekommen wir vom futuristisch-unfreundlichen Angestellten den Datenhelm aufgesetzt und das Geschirr umgelegt. Humphrey hebt mit uns ab – ein Meter, zwei Meter. Dann legt er uns in dieser schwindelerregenden Höhe auch noch in die Waagerechte und… jetzt heißt es, die Phantasie spielen zu lassen: Durch Änderungen der Blickrichtung, so hatte man uns erklärt, ändere sich auch die Flugrichtung. Ein von mir gewünschter Sturzflug als Einleitung eines simulierten Absturzes mit virtueller Todesfolge wird mir verwehrt. Das Programm ist viel zu langsam für meine suiziden Wunschträume. Leider war auch durch die Ruckelgraphik die Bierwerbung auf dem virtuell vorbeizappelnden Zeppelin nicht zu entziffern.

Glücklich gelandet geht es weiter in den ersten Stock der z(uk)ünftigen "Cyber City", die "Stadt der Zukunft" genannt wird. Per Bildschirmberührung können wir auf Computer-Stadtkarten Ampelphasen verändern und Verkehrsunfälle provozieren. Toll!

Der Gedanke an den dritten Stock (dort befindet sich das Kaffeehaus) sagt uns, daß wir schon genug Zukunft für das bißchen Gegenwart erlebt haben. Wir lassen deshalb jene Computer, mit denen das Kind mühelos Zeichentrickfilme herstellen und Pfeil und Bogen schießen kann, links liegen und bewegen uns mit progressiver Beschleunigung in Richtung Treppenhaus. Zeichentrickfilme drehen wollen wir nicht und im übrigen sind wir überein gekommen, auch im nächsten Jahrtausend keinen Computer zu kaufen, wenn wir bogenschießen wollen. Im Kaffee bietet man uns einen Blick auf ein Stückchen Linz – und auf ein Schlückchen Cola durch die Trinkgläser. Beides ist für den Besucher der Zukunft nicht von Bedeutung. Er vergnügt sich lieber mit Laptops, die auf den Tischen stehen und direkt im Internet "eingelinkt" sind.

Rekapitulierend stellen wir fest, daß der muffige Beigeschmack alter, vermoderter Ausstellungsstücke auch vor dem "Museum der Zukunft" nicht halt macht. Was wir hier gesehen haben, kannten wir bereits, wenn auch nur vom Hörensagen.

Übrigens: "Apollo 13" ist der hauseigene Erlebnislift, der einen Raketenstart von Linz aus ins All simuliert. Daß die halbrunden, klinisch silbernen Lifttüren nicht dem hier tätigen Personal vorbehalten waren, wie wir geglaubt hatten, erklärte uns der hinterhältige Prospekt erst im Nachhinein. Fazit: Nur wahre Hinterwäldler wie wir glauben an ein Treppenhaus in der Enterprise.


 
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