© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Bundeswehr-"Skandal": Veröffentlichtes Video erzeugt Bestürzung
Soldaten sind Schauspieler
von Götz Kubitschek
 

Ein Zivilist liegt hilflos auf dem Rücken. Aus Mund und Nase sickern dünne Blutfäden. Die rote Linie, die sich um den Hals über den Kehlkopf zieht, soll zeigen: Hier wurde einem die Gurgel durchgeschnitten. Der Täter kniet noch neben seinem Opfer, die Messerspitze zielt noch auf den Hals.

Diese und andere Szenen von einem Stabsunteroffizier der Bundeswehr und sechs Soldaten seiner Gruppe schockierten in den vergangenen Tagen die Öffentlichkeit. Aufgenommen wurden die Bilder mit einer privaten Videokamera im April vorigen Jahres auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg in Bayern. Nun hat der Privatsender SAT 1 das Band ausgestrahlt, und in beinahe jedem Programm sind Kommentare zu hören und neue Einzelheiten aus dem Video zu sehen.

Nachdem SAT 1 die Sendung angekündigt hatte und das Band den ersten Offizieren vorgeführt worden war, versprach Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), unnachsichtig und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Soldaten vorgehen zu lassen. Heeresinspekteur Helmut Willmann äußerte sich entsetzt über den Vorfall und versicherte, daß es sich um einen Einzelfall handele, durch den alle anderen Soldaten völlig zu Unrecht verunglimpft würden.

Die SPD-Abgeordneten Walter Kolbow und Dieter Heistermann forderten bessere Dienstaufsicht und strengere Auswahlverfahren für die Soldaten vor Einstellung und Verwendung. Die Grünen-Abgeordnete Angelika Beer verlangte von Rühe Aufklärung darüber, warum das Video erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sei. Auch der Sprecher des Bundesvorstandes der Grünen, Trittin, ging mit seiner Bemerkung über den Einzelfall Hammelburg hinaus und verglich das Filmmaterial mit den Photographien, die lachend postierte Wehrmachtsangehörige neben erhängten Partisanen zeigen: Pars pro toto und eine Entwicklungslinie.

Tatsächlich ist folgendes geschehen: Die Bundeswehr bildet jene Soldaten, die im Rahmen des SFOR-Einsatzes einige Zeit in Bosnien dienen sollen, zu richtigem Verhalten in möglichen Krisensituationen aus. Dabei werden die Szenen so realistisch wie möglich nachgestellt. Das gelingt unter anderem dadurch, daß die Feinddarsteller entsprechend gekleidet und bewaffnet sind. Über Wochen stellen die Schauspieler vor wechselnden Lehrgangsteilnehmern die Szenen nach. Sie selbst werden etwa alle sechs Wochen abgelöst. Berichten zufolge werden die Feinddarstellungen gegen Ende des sechswöchigen Abschnitts zunehmend realistisch, die Rangeleien härter, die Provokationen realer: Die Schauspieler identifizieren sich mit ihrer Rolle.

Nun ließ der Stabsunteroffizier Tobias L. in einer Mittagspause Szenen nachstellen, die mögliches Feindverhalten auf die Spitze trieben: Erschießungen, Vergewaltigungen, Folter. Die Soldaten handeln im Film nicht als Soldaten der Bundeswehr. Sie stellen Angehörige einer der unzähligen, auf eigene Rechnung arbeitenden Söldnergruppen des Jugoslawienkonflikts dar. Der Vorwurf mangelnder Dienstaufsicht zieht nicht: Der Gruppenführer war Hauptbeteiligter, Zugführer oder Kompaniechefs müssen während der Mittagspause ihre Unterführer nicht bemuttern. Der Schießlärm, der während der Dreharbeiten entstand, mußte nicht auffallen, im Hintergrund ist Gefechtslärm anderer, regulär übender Truppen zu hören. Übungsmunition wird an solchen Tagen auch nicht akribisch vor- und nachgerechnet, je nach Situation wird mehr oder weniger verbraucht. Zudem handelt es sich um Platzpatronen.

Zwei Ebenen gilt es zu unterscheiden: Da ist zum einen der Einzelfall, ausgehend von einer psychologisch schwierigen Situation, die eine Rolle gespielt haben kann. Bei einigen Kommentatoren muß die mitteldeutsche Herkunft der Schuldigen als Erklärung herhalten. Zu wenig demokratische Vorbildung, lautet die arrogante Analyse. Der Einzelfall wird problematisch, wenn das Videoband tatsächlich im Kameradenkreis herumging und Vorgesetzten bekannt war. Das behauptet der SAT 1-Informant, die Hardthöhe weist solche Behauptungen jedoch
zurück.

Rückschlüsse auf die Gesamtmoral und die Innere Führung der Bundeswehr zu ziehen, weist auf die politische Ebene hin. Die Grüne Angelika Beer mag Kasernen prinzipiell nicht, ihr Kollege Trittin hat Tucholsky gelesen. Die SPD-Politiker werfen mit Nebelkerzen und sagen damit vor allem eines: In Rühes Stall müßte ordentlich ausgemistet werden. Vergleiche mit der Deutschen Wehrmacht sind seit München und Frankfurt allgemeinverständlich.

Auf der Hardthöhe einigte man sich auf die Spiegelbildantwort: Die Bundeswehr sei eben unverwechselbar mit unserer Gesellschaft. Erziehungsdefizite könnten nicht innerhalb weniger Monate ausgeglichen werden. Die Betonung sollte jedoch auf Situation und Einzelfall liegen. Der Alte Fritz hätte gesagt: Tiefer hängen.


 
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