© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/97  18. Juli 1997

 
 
Volksgruppen: Europas Zentralstaaten unter Druck
Aufstand der Regionen
von Michael de Wet

Es gärt in Europas zentralistisch regierten Staaten. Wie sehr, offenbarten zwei Ereignisse der letzten Woche: Zum einen der von der baskischen Separatistenorganisation ETA verübte Anschlag auf den konservativen spanischen Politiker Miguel Angel Blanco. Zum anderen die nur mühsam abgewendete Eskalation zwischen irischen Patrioten und englischstämmigen Einwanderern in Nordirland, die anläßlich der traditionellen "Oranier"-Aufmärsche heraufzuziehen drohte. Als drittes Beispiel läßt sich der Prozeß um den freilich operettenhaft wirkenden Umsturzversuch der venezianischen Separatisten auf dem Marktplatz hinzufügen. In all diesen Ereignissen kann man Symbole des allenthalben schwelenden Regionalismus sehen und hätte damit recht und unrecht zugleich. Denn so wenig die IRA oder die ETA den nordirischen bzw. baskischen Regionalismus verkörpern, so wenig die Abenteurer von Venedig etwas mit der "Lega Nord" zu tun haben, so sehr schwelt doch in diesen Regionen und nicht nur dort eine Lunte, die von jenen Politikern gelegt wurde, denen die Völker und Volksgruppen nichts, die "große" und "einheitliche" Nation aber alles gilt. Um den Terror militanter Separatisten zu brechen, helfen daher keine anti-regionalistischen Brandreden, sondern nur eine durchgreifende föderalistische Umgestaltung der überkommenen Nationalstaaten. Regionalistische Bewegungen haben in Europa allenthalben Zulauf und es hat den Anschein, daß ihre Argumente langfristig die zugkräftiger werden als jene der Parteien, die dem europäischen Konzentrationsprozeß nichts besseres entgegenzusetzen wissen als das Auslaufmodell nicht minder zentralistischer Einheitsstaaten. Das Erfolgsrezept gerade populistischer Regionalisten, etwa vom Schlage des Lega-Nord-Chefs Umberto Bossi, ist dabei so einfach wie einleuchtend: Sie kritisieren nicht nur "äußere" Bedrohungen wie eine überbordende Einwanderung sondern legen auch den Finger in die Wunden innerstaatlicher Mißstände: Mehr Bürgernähe und örtliche Selbstverwaltung und die Beseitigung ausufernder staatlicher Bürokratie und Selbstherrlichkeit gegenüber dem steuerzahlenden Wahlvolk sind die Themen, mit denen sie von Erfolg zu Erfolg eilen. Der Regionalismus in diesen Staaten richtet sich dabei vorrangig nicht einmal gegen die Europäische Union, sondern gegen nationalkonservative Regierungen im eigenen Land, die als massivste Bremser einer Dezentralisierung der Macht erkannt werden. Im britischen Unterhauswahlkampf griff die Schottische Nationalpartei die Tories als Hauptgegner an und kassierte satte Stimmen- und Mandatsgewinne auf deren Kosten. Kein Zweifel, der Regionalismus wird auch in Zukunft noch für einige Überraschungen gut sein und den Etatisten von rechts und links vor Augen halten, daß ein Paradigmenwechsel bevorsteht: Wenn die EU und die Nationalstaaten mit dem "Europa der Regionen" nicht freiwillig Ernst machen, kommt der Regionalismus zu ihnen. Und das nicht immer galant.

 
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