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Pankraz, Paul Ernst und der Sturz des kapitalistischen
Fetischs von Günter ZehmBei jungen Konservativen,
die diesen Namen verdienen, wächst zur Zeit rapide der antikapitalistische Affekt, das
Mißtrauen, ja der Haß gegen das Treiben speziell des "Finanzkapitals".
Manchmal weiß der Zuhörer nicht mehr, ob er sich in einem rechten oder in einem linken
Zirkel befindet, so ähnlich sind die Fragestellungen, die Analysen, die Entrüstungen.
Das Finanzkapital, klingt es hier wie da, werde von den Regierungen und den politischen
Klassen angebetet wie ein gräßlicher Fetisch. Man wälze sich vor ihm im Staube, opfere
ihm blindlings alles, seien es nun einstmals sichere Renten oder noch vorhandene nationale
Eigenarten, seien es simple menschliche Anständigkeiten oder etwas feiner als üblich
ziselierte Fernsehprogramme.
Die "Lehren von 1989", die der Untergang des Kommunismus geliefert hat,
verblassen allmählich. Diese Lehren liefen bekanntlich darauf hinaus, daß ein
Gemeinwesen, das den Faktor Kapital ignoriert und unterdrückt, zum Scheitern, zur
Verrottung und Zerbröselung verurteilt ist, Kapital muß gehegt werden.
Jeder Staat, der funktionieren und blühen will, braucht dazu einen ordentlichen
Kapitalismus, ein risikofreudiges, in seinen Dispositionen möglichst freies
Unternehmertum, das Chancen des Profitmachens erkennt und ausnützt und seinen Profit auch
ohne Gesetzesverletzung und schlechtes Gewissen nach Hause bringen darf. Nur wer andere
verdienen läßt, verdient selbst.
Doch speziell der letzte Satz wird in besagten konservativen Zirkeln neuerdings in Frage
gestellt. "Die Profitmacher verdienen doch üppig wie nie", wird einem
entgegengehalten, "aber der Staat, die Gemeinschaft, hat nichts davon, im Gegenteil,
die Existenz und die Souveränität der Staaten, die Kultur und die Tradition der
Gemeinschaften werden vom Kapital bereits mit unüberbietbarem Zynismus zur Disposition
gestellt. Konzerne oder gar einzelne Finanzhaie nehmen sich ungeniert heraus, ganze
Staaten über die Löffel zu balbieren und anschließend sogar noch zu verhöhnen. Das hat
mit Demokratie nicht das geringste zu tun und noch weniger mit einem guten,
gottgefälligen Leben. Es ist der pure Skandal."
Es leuchtet den jungen Konservativen überhaupt nicht ein, daß die neuen weltumspannenden
Informations- und Transportsysteme ausschließlich dem Kapital zugute kommen sollen, indem
sie es in die Lage versetzen, durch in Sekundenbruchteilen getätigte Termingeschäfte und
durch Produktionsverlagerung in Niedrigstlohngebiete riesige Gewinne zu erzielen, denen
nicht im entferntesten ein investiver Nutzen gegenübersteht. Auch Kapital, sagen sie, ist
der Gemeinschaft und der Tradition verpflichtet, aus denen es stammt. Wenn es statt dessen
diese Gemeinschaften und Traditionen zerstört, muß man ihm in den Arm fallen.
Pankraz würde dem ohne weiteres zustimmen, nur stellt er die bange Frage: Wie? Wie soll
man dem zum Fetisch gewordenen Kapital in den Arm fallen, ohne die katastrophalen Fehler
der Kommunisten und Sozialisten zu wiederholen, die letztlich doch nur geholfen haben, den
Fetisch erst richtig aufzurichten?
Mit "geschlossenen Handelsstaaten"
la Fichte läßt sich dem Übel gewiß
nicht begegnen. Zwar ist heutzutage wohl nicht mehr zu befürchten, daß ein im Stile
Fichtes geschlossener Tugendstaat von den anderen mit einem neuen Opiumkrieg überzogen
würde, um die Öffnung der Grenzen zu erzwingen, jedoch auch das lehrt die jüngste
Historie jedes gewaltsame Sichabkapseln führt im Zeichen der neuen Medien zu
unerträglichen inneren Spannungen, die auf Dauer kein Staat aushält.
Vielleicht kann er eine Zeit lang die Kapitalisten, ihre Produkte und Moden draußen
halten, aber sie sind virtuell ständig präsent, und diese rein virtuelle Präsenz, die
ja eine idealisierte, von Fehlern und bösen Folgen gereinigte Präsenz ist, entfaltet
gerade bei noch unerfahrenen Völkern einen unbändigen Hunger nach der Realpräsenz,
weshalb dann also zum Beispiel eine junge Inderin ihren schönen traditionellen Sari
beiseitelegt, ihren Hintern in eine modische Jeanshose zwängt und, statt in den Tempel,
nur noch in die Chipfabrik von Siemens geht.
Islamische Theokratien wie Iran, buddhistische Militärregimes wie Burma, kommunistische,
sich gerade öffnende Parteidiktaturen wie China: sie haben die Begegnung mit dem zum
Fetisch gewordenen, seiner Wurzeln entwachsenen Kapitalismus alle noch vor sich, für sie
ist Kapitalismus zunächst einmal nichts weiter als eine Sehnsucht oder ein neues
Spielzeug, eine Lebenssteigerung. Ihre Eliten hegen noch die Überzeugung, sie könnten
ihn zur rechten Zeit zähmen, asiatisieren, konfutsieren, islamisieren.
Für die (West-)Europäer hingegen ist die Zähmung, besser: die Entfetischisierung des
Kapitalismus keine ferne Zukunftsaufgabe, sondern eine aktuelle Notwendigkeit. Denn er
bringt ihnen keine Lebenssteigerung mehr, sondern nur noch soziale und kulturelle
Verarmung. Und sie müssen erkennen, daß man dieser Veramung nicht entgehen kann, indem
man nach kommunistisch-sozialistischer Manier irgendwelche staatlichen Maßnahmen
einleitet, irgendwelche Gesetze und Durchführungsverordnungen erläßt, sondern daß eine
wirklich geistig-moralische Wende, eine Wende in den Seelen fällig ist, wie sie einst der
leider vergessene Ex-Marxist und Ex-Sozialist Paul Ernst in seinen "Erdachten
Gesprächen" von 1921 so wortmächtig eingefordert hat.
Daß die aktuell agierenden Politiker mit solcher Wende den Anfang machen werden, ist
natürlich gänzlich unwahrscheinlich. Aber vielleicht wächst Rettung im Auge des
Taifuns, setzen demnächst einige große Kapitalisten, einige große
Unternehmerpersönlichkeiten ein Zeichen und rücken die Interessen der Polis, der sie
selbst entstammen, sichtbar über das reine Profitinteresse. Darauf hoffen die jungen
Konservativen noch am ehesten.
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