© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/97  18. Juli 1997

 
 
"Moment, bitte!"
Kommentar
von Dieter Stein

4,2 Millionen Menschen sind in Deutschland ohne Arbeit. 320.000 Jugendliche suchen einen Ausbildungsplatz. Politiker appellieren an Arbeitgeber, Industrie und Mittelstand, sie sollten mehr Lehrstellen zur Verfügung stellen.

Ein Beispiel für die deutsche Krankheit, ganz aus dem prallen Leben gegriffen: Die junge freiheit ist ein klitzekleiner Arbeitgeber. Nach dem Weggang eines Mitarbeiters des Verlages suchte man einen Neuen. Blick in das Telefonbuch. Die Zentrale des zuständigen Arbeitsamtes (Tel. 8444-0) wird angerufen. Freizeichen zu jeder Tageszeit, niemals wird abgehoben - geschweige denn, daß eine Bandansage einem mitteilt, daß die Leitungen überlastet, einige Plätze nicht besetzt oder irgendwas sonst los ist. Also: Fehlanzeige. Schließlich, neben Hunderten von Durchwahlen eine für "Zentrale Auftragsentgegennahme (nur für Arbeitgeber)". Telefon-Nr. 8444-1666. Eine Bandansage fordert auf, seine Wünsche zu faxen oder auf Band zu sprechen. Na gut, wir faxen. Nach fünf Tagen hat sich immer noch niemand gemeldet. Wir rufen wieder an. Wieder nimmt niemand ab. Schließlich wenden wir uns an die Pressestelle des Berliner Senats. Eine freundliche Pressesprecherin erklärt, einige Arbeitsämter seien zusammengefaßt worden, nun seien vielleicht einige Leitungen überlastet _ Man solle doch bitte die Pressestelle des Landesarbeitsamtes anrufen. Dort treffe ich auf eine Dame, die mich ("Einen Moment bitte!") mit ihrem Kollegen Herrn S. verbinden will. Zunächst ertönt nervtötende Musik vom Endlosband (Ungarische Tänze auf Synthesizer), dann geht ("Endlich!") jemand ran. Herr S. meldet sich nicht mit seinem Namen sondern brüllt nur ins Telefon: "Moment bitte!".

Der Telefonhörer fällt unsanft auf den Schreibtisch. Im Hintergrund klappert das Kaffeegeschirr. Nach einer Minute nun bequemt sich Herr S. an den Hörer. Immerhin tut es ihm leid das mit den Verbindungsschwierigkeiten. "Ich kann Sie mal an die Nebenstellenleiterin des zuständigen Arbeitsamtes weiterverbinden. Wenn Sie rausfliegen, hier die Durchwahl (1500 oder 1501). Momentchen!" Ich fliege natürlich heraus. Entnervt, nachdem Herr S. zwischen weiteren drei "Momentchen bitte!" keine Verbindung herstellen konnte. Am späten Nachmittag ruft das Arbeitsamt schließlich zurück, der Fall ist von der Sachbearbeiterin freundlich bearbeitet worden.

Wieviele Arbeitgeber aber mögen nicht diese Geduld aufgebracht haben und haben es schließlich einfach aufgegeben, dem Arbeitsamt eine Ausbildungsstelle anzuzeigen? In der Privatwirtschaft ist traditionell der Kunde König. Und beim Arbeitsamt?

 
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