© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Der Fall Ciller: Türkische Spitzenpolitikerin der Geheimdiensttätigkeit für den CIA
Washingtons "Rose of Istanbul"
von Tamer Bacinoglu

Eines kann man Tansu Çiller nicht absprechen: ihre Wendigkeit, bedingt durch eine beispiellose Machtbesessenheit. Jeden Tag erfährt der türkische Zeitungsleser neue Einzelheiten aus ihrem Skandalregister, genauer: dem ihrer Familie, da Ehemann Özer von Anfang an "mit von der Partie" war.

Der vorläufig letzte Skandal ist Çillers angeblich knapp 30jährige Tätigkeit für den US-amerikanischen Geheimdienst CIA. Ein Verdacht, der immerhin von derart substantieller Natur ist, daß die militärische Staatsanwaltschaft auf Anweisung von Generalstabschef Karadayi die Ermittlungen aufgenommen hat. Sollte die Militärjustiz Çiller schuldig befinden, wird beim Parlament die Aufhebung ihrer Immunität verlangt werden. Danach drohen der Vorsitzenden der "Partei des Rechten Weges" (DYP) bis zu 15 Jahren Haft.

Nicht nur Çillers Gegner prophezeien eine baldige Verhaftung der "Schwester", wie die frühere Ministerpräsidentin und Ex-Außenministerin genannt wird. Die Çiller-treue Presse tröstet sich mit den Worten: "Sie wird das Gefängnis als Heldin verlassen." (Türkiye vom 17.7.). Schon jetzt ergehen Warnungen an mögliche weibliche Mithäftlinge: "Wenn sie ihrer Dignität Wert beimessen, sollten sie jeden Kontakt mit ihr vermeiden." (Aydinlik vom 29.6.).

Drogengeschäfte, Uranschmuggel und mysteriöse Morde, in die die Familie Çiller darüber hinaus verwickelt sein soll, werden den türkischen Gerichten in Zukunft wohl noch eine Menge Arbeit bereiten. So droht der Spitzenpolitikerin die Öffnung jener Akte über "Kommissionen", die sie beim Verkauf der zur Privatisierung freigegebenen Staatsbetriebe kassiert haben soll (was das auf unerklärlichen Wegen zustande gekommene Vermögen der Çillers plausibler machen könnte).

Eben diese Akte ist es gewesen, die Frau Çiller gegenüber dem inzwischen zurückgetretenen Ministerpräsidenten Erbakan so leicht erpreßbar gemacht hatte. Allerdings muß auch Çiller gegenüber dem Chef der islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah) einige Geheimpapiere in der Hand gehabt haben, sonst wäre es kaum vorstellbar, warum Erbakan in der kürzlich beendeten Koalition nicht stärker aufgetreten ist. Doch ob Erbakan, den sie Ende 1995 noch als einen "Heroinschmuggler" beschimpft hatte, und seine Refah wirklich in den religiös geächteten Drogenhandel verwickelt waren, das kann wohl nur Tansu Çiller persönlich beantworten.

Tatsache ist, daß Necmettin Erbakan gegen die gravierenden Vorwürfe Çillers nicht vorgegangen ist, wie es Justizminister Kazan aus dem islamistisch-liberalen Kabinett getan hat, den die "Schwester" kurz vor der Regierungsbildung als "Bastard" titulierte. Kazan bekam Recht, und Frau Çiller mußte dem nicht minder schillernden Ministerkollegen rund 20.000 DM Schadenersatz zahlen.

Als Erklärung für Erbakans ungewöhnliche Toleranz wird auf die Akte "Spendengelder für Bosnien" verwiesen, die sich in Çillers Besitz befunden hat. Die Angelegenheit läuft auch unter der Bezeichnung "Akte Mercümek", benannt nach dem Schatzmeister der türkischen Islamistenpartei, der die meisten Spendengelder für die Bosniaken übrigens in Deutschland sammeln konnte. Mercümek und die Refah-Funktionäre behaupteten 1995, mit den besagten Spenden in zweistelliger Millionenhöhe (DM!) in Bosnien eine Waffenfabrik errichtet zu haben. Das erwies sich als falsch: Auf dem Gelände unweit Sarajevos, wo die Waffenfabrik angeblich stehen sollte, fand man nur eine idyllische Wiese vor. Der bosnische General, der den türkischen Medien von der Refah als Spendenempfänger vorgestellt wurde, entpuppte sich als ehemaliger Schlosser, der in Osterreich und der Bundesrepublik Deutschland ein Flüchtlingsdasein führt. - So stand allem Anschein nach das islamistisch-liberale Bündnis in Ankara, das Frau Çiller - der selbsternannten Garantin des Laizismus und der Frauenrechte - das Ende ihrer Karriere bescherte, von Beginn an unter dem Stern von Korruption und Erpressung.

Schon ein Jahr, nachdem Süleyman Demirel 1990 die bis dato unbekannte Wirtschaftsprofessorin Çiller in den türkischen Parteiendschungel geholt hatte, wimmelte es in der türkischen Medienlandschaft von allerlei Geschichten über die Familie Çiller. Merkwürdigerweise lieferte ein ehemaliger Maoist und seines Zeichens Chef der linksgerichteten Arbeitspartei, Dogu Perincek, die jeweils aktuellsten Informationen.

Perincek offenbarte 1993, daß Çiller amerikanische Staatsbürgerin sei. Er konnte ein Abbild ihres US-Passes veröffentlichen, worauf Tansu Çiller überhaupt nicht reagierte. 1995 druckte er in seiner Zeitschrift einen langen Bericht ab, der angeblich vom türkischen Nachrichtendienst stammte und in dem Frau Çiller und ihrem Ehemann Özer Ucuran-Çiller u. a. der Mord an einem Spielcasino-"König", Geldwäsche und Verbindungen zur russischen Mafia angelastet werden. Auch dazu gab es aus dem Hause Çiller keine Reaktion.
Der "Geheimdienstbericht" brachte vor allem mehr Licht in die latenten Spekulationen um die Untergrundbeziehungen Çillers, was auch durch Erkenntnisse der BND-Zentrale in Pul-lach gestützt wird, wo von einer Verwicklung in den bulgarischen Drogenhandel die Rede ist (Udo Ulfkotte: "Verschlußsache BND", Koehler Verlag 1997). Es mußte sich jedoch am

3. November 1996 erst ein tragischer Autounfall mit drei Opfern ereignen, ehe alle bis dahin als aberwitzig belächelten Anchuldigungen Perinceks ernst genommen wurden. Eines der damaligen Opfer war ein gewisser Abdullah Catli, eine von Perincek schon lange zuvor als "Profi-Killer der Çiller-Organisation" bezeichnete Person. Im selben Auto überlebte mit Innenminister Ager ein Parteigenosse der "Schwester", der schließlich zurücktreten mußte, weil er jahrelang seine schützende Hand über den Killer gehalten und diesem einen Diplomatenpaß ausgestellt hatte.

All diese Verbindungen waren bereits ein Jahr zuvor in der linksgerichteten Wochenzeitschrift Aydinlik (Auflage: 20.000) nachzulesen gewesen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die jüngste Behauptung Perinceks, daß Çiller "die Rose von Istanbul" der CIA sei, eine ungeheure Brisanz. In einer Pressekonferenz am 7. Juli machte er detaillierte Angaben zur angeblichen CIA-Karriere Çillers, deren Höhepunkt gewesen sei, daß sie zusammen mit ihrem Mann systematisch an der Bildung einer Geheimzelle innerhalb der türkischen Polizei gearbeitet habe. Schließlich sei der Chef des Polizei-Geheimdienstes damit beauftragt worden, den Generalstab auszuspionieren.

Die ehemalige Innenministerin Meral Aksener hat diese Vorwürfe inzwischen teilweise bestätigt. Sie hätten zu dieser Maßnahme gegriffen, so die Version Akseners, weil man von einer Verschwörung innerhalb des türkischen Militärs gegen die zivile Regierung Wind bekommen habe und es die Pflicht des polizeilichen Geheimdienstes sei, solchen Dingen nachzugehen.

Die Dame räumte indes ein, daß der Chef des Polizei-Geheimdienstes, Orakoglu, schon lange vor dem Regierungsrücktritt von seinem Posten entlassen und samt seiner Familie in die USA geschickt worden sei, mit dem Auftrag, dort das türkische Sicherheitspersonal in den eigenen diplomatischen Vertretungen zu inspizieren. Mittlerweile ist Orakoglu wieder in der Türkei, wohnhaft im Gefängnis Mamak bei Ankara.
Es ist bemerkenswert, daß Orakoglu von Aksener als "Held" gelobt wurde, so wie einst ihre gerissene Chefin den per Steckbrief gesuchten Mafioso und Mörder Abdullah Catli mit demselben Attribut gepriesen hatte. Kurz nach der Entlassung von Innenminister Ager kam überdies heraus, daß Aksener mit dem Mörder Catli befreundet gewesen war.

Zuständig für all diese Vorfälle ist nun das Militärgericht des Generalstabes. Man erwartet, daß Orakoglu weitere Angaben machen wird, um zumindest seine Haut zu retten. Ermittelt wird ebenso gegen einen Privat-Geheimdienst der Familie Çiller, der laut Perincek direkt Washington unterstand und auch außerhalb der Türkei tätig war: etwa bei einem gescheiterten Putschversuch in Baku sowie bei den Sprengstoffanschlägen in Ostturkestan in China. Letzteres kann Perincek vermutlich gut belegen, da ihm nach wie vor exzellente Verbindungen zu Peking nachgesagt werden.

Daß die spektakuläre und für die türkische Armee schmerzhafte Explosion der Munitionsfabriken in Kirikkale am 3. Juli 1997 ausgerechnet zu einem Zeitpunkt stattfand, als die CIA-Vergangenheit Çillers zum politischen Tagesordnungspunkt Nr. 1 geworden war, ist nach Aussage des ehemaligen Marine-Kolonels Bilbilik kein Zufall. Es habe sich, so Bilbilik, um eine Warnung des Pentagons an das türkische Militär gehandelt, das in aller Offenheit mit der Ausschaltung "krimineller Elemente im Dienste befreundeter Staaten" begann. Das ungewöhnlich spät eintreffende Bekennerschreiben der PKK für die Tat wird vom türkischen Generalstab offensichtlich nicht ernst genommen.

Der präzise Abschuß eines türkischen Hubschraubers während der letzten Operation der türkischen Armee im Nordirak führt Bilbilik zufolge ebenfalls auf die Spur des großen NATO-Verbündeten (Aydinlik vom 6.7.). Erinnert wird in diesem Zusammenhang an den Absturz eines nagelneuen Militärflugzeuges in Ankara mit General Esref Bitlis an Bord im Jahre 1993. Bitlis war für seine Abneigung gegen die US-Pläne im Nordirak bekannt. Ob er wirklich einem ausländischen oder vom Ausland gelenkten Mord zum Opfer gefallen ist, ist zur Zeit nicht nachweisbar. Inzwischen bekannt und offiziell bestätigt ist jedoch, daß das Gutachten zu dem "Unfall" "sehr mangelhaft und teilweise widersprüchlich" ist. In dem angefochtenen "Expertenbericht", angefertigt wenige Stunden (!) nach dem Vorfall, war "festgestellt" worden, daß "eines der Triebwerke des Flugzeugs eingefroren" gewesen sei. Die kanadische Herstellerfirma konnte dies nicht glaubwürdig finden, da, wie sie mitteilte, die Bauart der Maschine gerade den Erfordernissen kalter Klimazonen entspreche. - Auf Tansu Çiller wartet nun wohl auch die Bitlis-Akte.

Am 18. Juli verlor Perincek einen seiner wichtigsten Zeugen: Der ehemalige CIA-Agent John Fish wurde am 18. April tot in einer ausgebrannten Wohnung in Frankfurt am Main aufgefunden, offenbar direkt nachdem er in einer US-Militärbasis Angaben zum Fall Çiller gemacht hatte, so Sedat Ergin, der sich in der Hürriyet-Ausgabe vom 20. Juli auf Angaben des mit Fish befreundeten CIA-Mannes Mottagur beruft. Am selben Tag, als die Leiche von Fish aufgefunden wurde, dementierte die US-Botschaft in Ankara, daß Tansu Çiller eine Mitarbeiterin der CIA sei.

Daß es damit jedoch längst nicht getan ist, signalisiert die jüngste Verlautbarung des türkischen Generalstabschefs, wonach Çiller in Panik ein aus dem Generalstab entwendetes Geheimdokument an die US-Generalkonsulin Shelton in Adana gefaxt hätte - mit folgendem Inhalt: "Sie wollen mich fertigmachen! Ich gehe davon aus, daß Sie mir helfen. Ihre Ergebene."

 
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