© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Pankraz, Dietrich Schwanitz und die Bürde der Schauerromantik
von Günter Zehm

In einem an sich recht überflüssigen Büchlein des Verlages Hoffmann und Campe, das die Berliner Hauruckrede des Bundespräsidenten enthält und was einige Zelebritäten der BRD-Society dazu zu sagen haben, macht Pankraz eine Trouvaille: eine Philippika des Hamburger Anglisten Dietrich Schwanitz gegen die Opposition hierzulande. Dieser kurze Text hat es wirklich in sich.

Schwanitz konstatiert klipp und klar, daß die Regierung auf ganzer Linie gescheitert sei und abtreten müsse. Es sei also die Stunde der Opposition, aber was für eine "Opposition" mache sich da im Parlament und in den Medien breit? Es sei eine "linke" Truppe, die bei jedem auch nur einigermaßen anspruchvollen Wähler nackte Vezweiflung auslöse, weil sie bis obenan mit Lebenslügen abgefüllt sei, mit Phrasen und Fehlprojekten, die geradewegs ins Nichts führen müssen.

Als besonders verhängnisvoll kreidet Schwanitz dieser "linken Opposition" an, daß sie die Nation verteufle und jedes bißchen Nationalstolz durch permanente "Vergangenheitsbewältigung" abtöte. Zitat: "Der Gedanke muß überprüft werden dürfen, ob der namenlose Schrecken, der in der Bundeslade der Erinnerung wohnt, nicht von einer Priesterkaste von Intellektuellen dazu benutzt wird, sich zu Herrschern über einen Kult zu machen, bei dem sie die semantischen Verbote erlassen, die Zugänge zum Heiligtum regeln und hin und wieder den Vorhang vor dem Schrecken beiseite ziehen, um den Altar mit dem Blut eines Opfers zu färben".

Und weiter Schwanitz: "Es wäre falsch, ein semantisches Geisterreich der politischen Schauerromantik zu errichten, in dem es nur Täter und Opfer gibt. Das Schema ist analytisch viel zu simpel und verschafft nur den Wohlfahrtsausschüssen die Berechtigung, ihre Anschuldigungsindustrie zu organisieren und Abweichler vor die Tribunale zu laden."
Im Kontext des Campe-Büchleins nehmen sich solche Feststellungen geradezu superketzerisch aus, denn dort gibt es sonst nur die üblichen Pseudo-Patentrezepte: Abbau des Wohlfahrtstaats, mehr Investitionen, von Amerika lernen, keine Angst vor der Gen-Technik usw. Alles dreht sich ums Geld; daß das Übel in der Tiefe der deutschen Seele wohnt und daß die Ursache dieses Übels das Wüten einer selbsternannten Priesterkaste ist, die ihre Herrschaft auf politischer Schauerromantik und Anschuldigungsindustrie (mit anderen Worten: auf systematischer Seelenvergiftung) aufbaut, notiert außer Schwanitz keiner.

Und doch liegt hier der Hund begraben. Wie kann denn jemand Zukunftsmut, Gemeinsinn und Gründerfreude gewinnen, wenn ihm schon in der Schule und später in penetranter medialer Dauerberieselung immer wieder nur eines beigebracht wird: "Die Fundamente, auf denen du als Deutscher bauen willst, sind des Teufels, die Gemeinschaft, um deretwillen du Wohlstandsverzicht und Zukunftsrisiko auf dich nehmen sollst, ist auf nichts als auf Verbrechen gegründet, und zwar auf Verbrechen, über die du - bei schärfster Strafandrohung - nicht genau nachforschen darfst, die du einfach zu glauben hast, die du einfach als Gründermythos deiner verfluchten Gemeinschaft hinzunehmen hast!"

Wie lähmend, wie desintegrierend und zu krassem Egoismus einladend sich eine derartige Botschaft speziell auf junge Menschen auswirkt, kann Pankraz in seinem Beruf als Uni-Dozent gut beobachten. Die Jungen denken nicht daran, sich die stinkende Jacke, die ihnen von den Älteren offeriert wird, anzuziehen. Aber sie haben auch keine andere; auf Europa- und Globalgetue reagieren sie mit verächtlichem Achselzucken. Wenn wir selber geborene Verbrecher sind, so schließen sie, dann sind es die anderen natürlich nicht minder. Warum sollten diese denn besser sein? Der Mensch ist überall gleich.
Die Vornehmeren unter den Jungen werden also Politik- und Menschenverächter, formieren sich zu einem epikurischen Geschlecht, das "im Verborgenen" über die Runden zu kommen sucht. Doch die weniger Vornehmen ihrerseits pfeifen ebenfalls auf die präsidialen Lockrufe zu Innovationsfreude und Wohlstandsverzicht. Sie werden keine pausbackigen Risiko-Unternehmer, sondern drängen ins vollkommen risikolose und dennoch Wohlstand verheißende mediale Geschäft der Anschuldigungs- und Seelenvergiftungsindustrie. Es wimmelt unter diesen weniger vornehmen Jungen bereits von professionellen, profitbedachten Vergangenheitsbewältigern.

Deren Gebaren ist freilich weniger priesterlich als wohl-fahrtsausschüssig. Auch in dieser Hinsicht trifft Schwanitz ins Schwarze: Die priesterliche Attitüde bei der Verwaltung der politischen Schauerromantik ist Tünche, unter der die Fratze von Wohlfahrtsausschüssen à la 1793 hervorlugt. Man abonniert auf geistige Bespitzelung, Denunziation und Tribunal, man spielt Staatsanwalt, Richter und Henker in einem und findet ein kannibalisches Gefallen daran. Man gehört auf die Seite der Guten kraft Spruches der Weltgeschichte, die das Weltgericht ist, und kann sich folglich jede Gemeinheit herausnehmen.

Dietrich Schwanitz hat selbstverständlich recht, wenn er in den modernen Priester-Henkern keine attraktive Alternative zur gegenwärtigen Regierung erkennen mag. Und da er sich selber für einen Linken hält, redet er der "linken Opposition" intensiv ins Gewissen. Sie solle sich endlich ändern, sie solle zumindest einen "semantischen Währungsschnitt" vornehmen. "Werfen wir die Berge von Phrasen über Bord", fleht er, "betreiben wir eine symbolische Politik des knappen Geldes, damit unser Wortschatz wieder Deckung erhält!"

Indes, die Deckungslücke zwischen der Wirklichkeit und dem Wortschatz der Priester-Henker bildet ja gerade das Fundament ihrer Herrschaft, ihres politischen Einflusses. Aus dieser Klemme findet der Anglistikprofessor und Romancier nicht heraus. Wer den gordischen Knoten erst geknüpft hat, will ihn doch nicht wieder zerschneiden. Andere müssen das tun.

 
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