© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Flucht in die Aktie
Kommentar
von Bernd-Thomas Ramb

Warnende Zeigefinger gibt es genug. Der US-amerikanische Notenbankprä-sident Greenspan spricht von "irrationalen Übertreibungen", die Bundesbank blickt mit Sorge und erfahrene Börsianer erwarten ein "Ende des Gipfelsturms", vermeinen ängstliches "Schielen nach Ausstiegsluken" zu vernehmen. Objekt der Bedenken ist der steile Anstieg der Aktienkurse. Innerhalb eines Jahres ist der Dax, Index der wichtigsten deutschen Aktien, von unter 2600 auf über 4000 gestiegen. Allein seit Jahresbeginn um 43 Pro-zent. Seinem amerikanischen Pendant, dem Dow-Jones-Index, gelang im gleichen Zeitraum ein Sprung um 24 Prozent. Das sind (Alp-)Traumrenditen für antiquierte Sparbuchinhaber, die von den Banken um den Preis eines "Spareckzinses" von zwei Prozent jährlich abgezockt werden.

Kein Wunder also, wenn immer mehr Privatsparer auch in Deutschland auf die Idee kommen, über Aktienbesitz in die Welt des Kapitalismus einzutauchen. Ein Blick auf die Entwicklung der Aktienkäufe durch "Nichtbanken" - in diesen Zahlen sind neben dem Aktienerwerb durch Privatpersonen auch die Käufe durch Unternehmen enthalten - zeigt, daß der Aktienboom durchaus schon seit geraumer Zeit blüht. Die Hausse der

Aktienkäufe beginnt scheinbar mit dem Jahr des Niedergangs der DDR. Seit 1990 werden Jahr für Jahr im Schnitt etwa 36 Milliarden DM für den privaten Aktienerwerb ausgegeben - fast das dreifache Volumen der vorangegangenen Jahre. Die Wende im Aktienkauf fällt aber nicht nur mit der politischen Wende zusammen. Das Datum 1990 steht auch für den letzten Versuch einer "Reform" der Rentenversicherung. Seitdem ist das Vertrauen in die von Blüm unermüdlich beteuerte Sicherheit der Rente der Gewißheit gewichen, daß jeder künftig selbst für die Sicherung des Alterseinkommens Sorge tragen muß. Dazu bietet sich zunehmend die bereits langfristig bewährte Aktienanlage an, deren marktwirtschaftliche Gefährdung durch Kursverfall ungleich harmloser ist als die staatlich gesteuerte Rentenentwertung.

Die Gefahr fallender Kurse ist aber auch deshalb geringer geworden, weil die Flucht in die Aktie - neben der Währungsalternative Dollar - sich als eine wichtige und dauerhafte Möglichkeit zur Sicherung der in harter D-Mark erworbenen Vermögensreserven eröffnet. Wohin sonst mit der liquiden D-Mark-Masse, wo die termingerechte und teilnehmerreiche, dafür aber zu-nehmend konvergenzkriterienärmere Ankunft der europäischen Weichwäh-rung von Tag zu Tag bedrohlicher naht? Zählt man die in- und ausländischen privaten, wie sich im Bankenbesitz befindlichen Vermögen zusammen, befinden sich weit über sieben Billionen (in Ziffern: 7.000.000.000.000)
D-Mark auf der Flucht vor dem Euro.

 
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