© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Nicht zu fassen: Nach dem "Skandal-Video" der Bundeswehr - Enthüllungen aus Österreich
Reemtsma, übernehmen Sie
von Ernst Fröhlich

Erschütternde Berichte über die Moral der Truppe und die allgegenwärtige Wehrmachtsausstellung lassen auch JF-Reporter nicht ruhen: Was ist denn nun eigentlich mit der stets vergessenen Armee der Alpenrepublik, die auch irgendwie (zumindest sprachlich) deutsch ist und irgendwo in der Tradition der Wehrmacht steht? Also machen wir uns auf und erleben eine deprimierende Woche bei einer durch und durch "zivilisierten" Armee mit.
8 Uhr morgens - eine Kaserne ist in Aufruhr. Lastkraftwagen, die zuvor mit Zelten, Hilfsmaterial, Brennstoffen, Soldatengepäck und Grundwehrdienern beladen worden waren, brummen gemächlich unter den Schranken der Hauptwache durch.Wir befinden uns bei einem Bataillon der Fliegerabwehr, am ersten Tag einer einwöchigen Übung. Eine Woche meint hier aber - vier Tage.

Das Kommandogebäude der vierten Batterie gleicht einem Bienenstock. Aber nicht etwa Bienenfleiß läßt auf diesen Vergleich schließen, sondern das Chaos uniformierter Stiefelträger, dem man eine ganz eigene, dynamische Ordnung zuzuschreiben versucht ist. Doch von Ordnung kann keine Rede sein, denn niemand weiß, wohin es genau geht, um wieviel Uhr man abrückt, wann man ankommt, oder gar, was einen erwartet. Man weiß nur soviel: verlegt wird und zwar noch heute - der Rest ist Schulterzucken.
In der Mannschaftsunterkunft mischen sich Grundwehrdiener und Milizsoldaten in wildem Getümmel. Man kann sie eigentlich nur an der Prä-, bzw. Absenz von Bärten, militärischen Haarschnitten, Ohrringen und Schnapsfahnen auseinanderhalten. Mit voranschreitendem Vormittag lichtet sich dieses Durcheinander allerdings, denn immer mehr Soldaten rücken ab und immer ruhiger werden die Bewegungen.
Nach langer, spirituosenreicher Fahrt im Steyr-LKW kommt man im Verfügungsraum an: Von hier aus werden die Übungsteilnehemer je nach Funktion ins Feld geschickt, bzw. abgeholt. Die nächste Station ist der Batteriegefechtsstand: Hier haben die Erstankömmlinge bereits Stellung bezogen, Wachen sind aufgestellt und die Fernmeldetrupps ziehen ihre Kabel zu den einzelnen Zuggefechtsständen. Die Kommandanten richten sich währenddessen für die kommenden vier Tage ein, so daß alle Kräfte gebunden und unsere Reserve-Helden erst einmal auf Warteschleife sind.

Es ist 16 Uhr 30 - eine Stunde ist vergangen. Jeder Vorbeigehende sieht die taktisch unklug in Stellung Gebrachten groß an, keiner hat den Mut zu der Frage, worauf sie warten, da schon ein alter Spruch besagt: "Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens." Die Hälfte der Wartenden beginnt bereits, ihre Rollmatten und Schlafsäcke auszulegen, um nicht von einer plötzlich hereinbrechenden Nacht überrascht zu werden.
Dann - wie durch ein Wunder erscheint ein Kraftfahrer des zweiten Zuges! Wie nach einem kurzen Wortwechsel klar wird, ist sein Erscheinen ein reiner Zufall, was aber keine Rolle spielt. Die Abordnung der Wartenden, die mit dem Fahrer in den Gefechtsstand eindringt, macht sich nach kurzem Rundumblick klar, daß an sie längst nicht mehr gedacht wurde.Nichtsdestotrotz wurde man doch recht freundlich, aber unerwartet vom sichtlich erschrockenen Batteriekommandanten begrüßt.

Als das Licht in der Unterkunft aufflammt, weiten sich die staunenden Augen der ungeplanten Neuankömmlinge: ganze Wohnungen wurden vom Heer gemietet, um es dem Kaderpersonal so angenehm wie möglich zu machen. Hier fühlt man sich wie ein Eroberer und trampelt zunächst mal kräftig mit den verdreckten Stiefeln über die Teppiche, um danach in die hausierende Couch zu fallen und bei einem kalten Bier das Abendprogramm auf Kabel zu genießen. - Die Übung hat begonnen.

Bei dem nun folgenden Kartenspiel werden die freiwilligen Dienste ausgeschnapst (verteilt). Freiwillig deshalb, weil man niemandem abginge, bliebe man die ganze Woche in der Unterkunft. Die Kameraden, die "frei" haben, können dann ausgelassen in die nahe Burschenschenke aufbrechen, um den hiesigen Wein zu verkosten.
Das Zelt ist schon längst aufgestellt und die Zeit, bis der Sani (Sanitäter) die neue Zeitung bringt, wird in der mitgebrachten Liege totgeschlagen. Kameraden, die mehr oder farbintensivere Sterne auf den Schultern tragen als wir selbst, werden vom jeweiligen Kanonier gemeldet, der sie durch die achtfache Vergrößerung seines Visiers schon von weitem nahen sieht. Da bleibt noch genug Zeit, um gemächlich in die Tarnjacke zu schlüpfen, das Kampfgerüst umzuschnallen und den stets bereiten Fliegerabwehr-Soldaten zu mimen.

Wer diese Woche ohne bleibende Schäden übersteht, hat Glück, denn so viel Chaos, Unwissenheit und Fehlplanung sind hart zu ertragen für jemanden, der den Arbeitstakt der Privatwirtschaft gewohnt ist.
Schutz und Hilfe - unser Heer!

 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen