© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Hamburg als Test
Kommentar
von Dieter Stein

Bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen im September wollen mehr als 30 Parteien antreten. Das spricht für die Einsatzfreude und Begeisterung zahlreicher Bürger für die Demokratie. Eine Partei zu gründen, Unterstützungsunterschriften zu sammeln, beim Wahlleiter anzumelden, Flugblätter zu drucken, Plakate zu kleben und mit dem Gesicht vor potentielle Wähler zu treten, kostet Mut und Überwindung. Honoriert - im materiellen Sinne - wird dies nicht, wenn man von der unpersönlichen Wahlkampfrückerstattung und möglichen Abgeordnetensitzen einmal absieht. Den alteingesessenen Parteien sind die Miniparteien lästiger Sand im gutgeölten Getriebe der Macht, für die Medien sind es die "Sonstigen" und mancher Bürger macht sich darüber lustig, daß es da ein paar "Spinner" gibt, die meinen, man könne mit Wahlen noch etwas verändern. Sonst, so meinen jene Zyniker, wären Wahlen doch längst verboten.

Daß es so viele Einzelinitiativen gibt, zeigt aber auch, wie groß die Defizite der traditionellen Parteien sind. Daß viele Wähler bereits innerlich Abschied genommen haben von den Parteien, die "man" seit Generationen wählte, beweist der in den letzten Jahren enorm angestiegene Nichtwähler-Anteil. Nun aber beginnt sich der lange Zeit undefinierte Unmut herauszukristallisieren. Wenn daraus zunächst eine schillernde Zahl von Grüppchen und Parteien entsteht, so ist dem überhaupt nicht durch pseudomilitärische Strategien zu begegnen: Nun müsse sich doch die Partei X mit jener Gruppe Y dort mal eben zusammenschließen. Nach einer gewissen Marktlogik, die nicht immer von der Hand zu weisen ist, werden sich schlicht diejenigen Persönlichkeiten und Parteien durchsetzen, die neues Vertrauen bei Wählern gewinnen können. Auf die Nation und darauf, daß es doch "um die Sache" gehe, haben sich bekanntlich immer diejenigen besonders lautstark berufen, die am wenigsten Aussicht auf Erfolg ihrer Organisation hatten.

Welchen Erfolg eine nationale - ob eher rechtskonservativ oder freiheitlich orientierte - Partei haben kann, zeigt schon, mit welchem Schwung sozialdemokratische Strategen versuchen, harte Themen zu besetzen: Da zieht der Kanzlerkandidat in spe, Gerhard Schröder, mit Worten über kriminelle Ausländer, Drogendealer und Sexualstraftäter her, die einen Politiker, beispielsweise der Republikaner, unverzüglich in den Verfassungsschutzbericht katapultierten. So verlogen geht es zu. Fraglich ist nur, wer nun auch die Politik realisiert, die der Wähler ganz offensichtlich fordert. Es hat sich schon öfter gezeigt, daß sich populistisches Gerede à la Schröder am Ende für ganz andere Parteien auszahlt.


 
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