© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Salzburger Festspiele: Zeitgeist- und Endzeit-Nonsens
Ausgemusterte Intifada
von Timo Fehrensen

Die Festspielbesucher sind zum großen Teil die nämlichen wie zu Karajans Zeiten, auf der Bühne sieht fast nichts mehr wie damals aus. Seitdem Gerard Mortier die Salzburger Festspiele führt, wird vom konservativen Karajan-Jünger viel über das aufreizend Neue im Mozart- und Max-Reinhardt-Paradies geklagt. Freilich sind die Stars des Opern- und Schaupielwesens, auf die sich Mortier mittlerweile verläßt, in ihrer scheinbaren Unkonventionalität genauso berechenbar wie die Festpieler von ehedem. Auch die zeitgeistigen Inszenierungen von Robert Wilson und Peter Sellars bleiben ausverkauft. Und wenn im nächsten Jahr die Berliner Volksbühnen-Göre Sophie Rois als wimmernde Buhlschaft dem Jedermann das Fürchten beibringt, wird der Domplatz nach wie vor mit Touristen aus aller Welt bestückt sein. Als neuer Schaupielchef nach Peter Stein will dann Ivan Nagel an der fröhlichen Entweihung des gewohnten Festspiel-Pathos teilhaben – und Regiegurus wie Stefan Bachmann oder Christoph Marthaler sollen ihn unterstützen. Der alte Theaterzauberer Peter Stein hat nicht die Progressivität, die sich Mortier von ihm erhoffte, auf die Bühne gebracht. Seine durchwachsene Shakespeare-Trilogie, von der internationalen Presse gelobt, wurde vom heimischen Kritikervolk mit Häme überschüttet. Da bleibt außerdem die Erinnerung an an eine solide "Kirschgarten"-Inszenierung und den in dieser Saison noch anhaltenden tumultösen Starauftrieb (Helmut Lohner, Otto Schenk) in Raimunds "Alpenkönig"-Märchen. Die einzig festspielreife Inszenierung neben Steins "Julius Caesar" kam vom Italiener Luca Ronconi, der Pirandellos Stückefragment "Die Riesen vom Berge", in die freilich unnötige Spielstätte Perner Insel verfrachtet hatte.

Nach Hallstein müssen sich auch jetzt wieder die Zuschauer bemühen, um noch einmal etwas durch und durch Werkgetreues zu Gesicht zu bekommen. "Libussa" war selbst von Franz Grillparzer nicht eben geliebt, nicht wohl zuletzt deshalb hat sich die Heldin selten auf einer Bühne gezeigt.

Fast vier Stunden (Stein hat wieder mit Philologensorgfalt gearbeitet) kämpft die Böhmenfürstin Libussa für ein standhaftes Frauenregiment. Allein die Männer verlangen in Grillparzers thesenhaltigem Drama einen Herren als Volksführer und bekommen mit Primislaus den Kämpfer für Fortschritt und störenden Individualismus. Grillparzer läßt um Volkes Wohl mit emanzipiert auf Frau und Mann verteilten Argumenten, aber angestrengten Monologen ringen. Stein liebt die Länge bekanntlich. Also wird jede Szene bis ins Kleinste ausgespielt, was den Spielfluß mitunter beträchtlich hemmt. Das Ereignis ist die Titeldarstellerin Dörte Lyssewski. Die Disziplin braucht es zur Erreichung eines zukünftigen Menschenparadieses, ihre Libussa macht das mit Strenge, Ironie und wunderbarer Natürlichkeit klar. Auch wenn sie sich am Ende ihrem Bühnentod allzu inbrünstig entgegentobt, legt das Berliner Schaubühnen-Mitglied eine schauspielerische Bravourleistung vor, wie sie seit Jahren nicht mehr in Salzburg zu bewundern war. Stein verläßt Salzburg nach eigenem Bekunden gern. Doch wenn das Publikum auch wieder die lange Anfahrt auf sich nehmen mußte – diejenigen, die mit den Intentionen des neuen Sprechtheater-Chefs Ivan Nagel nichts anfangen können, wird der Abbschied nach dieser runden Aufführung noch schwerer fallen.

In Gerard Mortiers Neu-Salzburg wird Mozarts "Entführung aus dem Serail" natürlich politisch korrekt aufgeführt. Bassa Selim ist ein gebeutelter, deswegen zeitweilig empörter und ein blondes Mädchen raubender, aber dennoch anständiger Staatsmann. Der palästinensische Regisseur Francois Abou Salem läßt ihn in seiner Inszenierung inmitten handyhaltender Untertanen und ausgemusterter Intifada-Kämpfer einen Muster-Bürokraten vorführen, der sich genauso schneller Gesinnungswechsel wie die gesamte Aufführung erlaubt. In der Residenz-Galerie ist die Orientmalerei der Wiener Ringstraßen-Künstler umd Hans Makart ausgestellt, im Residenzhof, dem Schauplatz von Salzburgs neuer "Entführungs"-Inszenierung, zeigt Francine Gaspars Bühne schon weitaus mehr heutiges Bewußtsein: Bloß noch ein wenig Palastatmosphäre mit Planschbecken, ansonsten häufige Kommunikation über den Stacheldraht hinweg. Der Westen kommt in Form von Billigtouristen an den Hof, und die befreite Blonde schleppt am Ende sogar noch einen Teppich mit sich. Im Palast wird eine sehr transparente Politik ersonnen, das Volk ist allweil dabei. Und bekommt auch gewaltig zu lachen, wenn der wieder als Trottel charakterisierte Osmin Mozartkugeln als süße Salzburger Bestechung überrreicht bekommt oder wenn er sich im Orient-Bad neben der amüsierten Blonden räkeln darf. Über weite Strecken bekommt man eine Araber-Boulevard-Komödie zu sehen, die nur selten glaubhaft ins Einsamkeitsdrama umschlägt. Zwischendurch ertönt arabische Musik, denn auf Mozarts Musik alleine scheint man auch in Salzburg nicht mehr zu vertrauen. Das Kolorit stimmt also, aber die Figuren stehen reichlich verloren mit ihrem Text herum. Ein lediglich reagierender Bassa Selim trifft wohl kaum Mozarts Vorstellung eines heroischen, alles verzeihenden Herrschers. Und auch Neckermann-Reisende wie die vier Europäer brauchen vor ihm keine Furcht zu haben. Ins Serail entführt – das ist Abenteuer-Urlaub vom Feinsten.

Sachte begann der Einzug der Moderne ins Große Festhaus. Vor fünf Jahren ließ es Mortier noch bei Leo Janacek bewenden, Strawinski folgte zwei Jahre später, und jetzt wird mit György Ligetis "Le Grand Macabre" endlich fast heutig. Ligeti im Großen Festspielhaus, Mozart zwei Tage früher bloß im öden Residenzhof: Wenn das man keine Revolution ist! Doch selbst der konservativste Salzburg-Freund kann zufrieden sein: So brav präsentiert, darf auch die heutige Oper im Großen Festspielhaus Einzug halten. Vor über zwanzig Jahren hatte die Weltuntergangs-Groteske um den sich vergeblich abmühenden Tod, die am Ende am Leben bleibenden Bürgersleut und das trotz Tod und Teufeleien alles überstehende Liebespärchen Uraufführung. Eine Groteske des Belgiers Michel de Ghelderode dient dem sich nicht nach Ligetis Vorstellungen abmühenden Librettisten Michael Meschke als Vorlage. Zu guter Letzt bearbeitete Ligeti den Text lieber selbst, und heraus kam ein Sammelsurium pseudophilosophischer Sentenzen und großmäuliger Sprüche. Klangmassen sind übereinander getürmt, die Bläser müssen sich gewaltig ins Zeug legen. Nur in den wenigen lyrischen Momenten läßt Ligeti endlich die Sensibilität spüren, auf die er ansonsten zugunsten eines schroffen Pomps kaum Wert gelegt hat. Das Jüngste Gericht im Versuchslabor – George Tsypin hat Endzeit-Nonsens: Atommeiler und ein Riesentiergerippe auf die Bühne gebracht. Auf der läßt Regisseur Peter Sellars die Akteure wie im New Yorker Elendsviertel herumirren; zwei rücktrittswillige Politiker gehen sich mit wilden Mienen auf die Nerven. Hier findet keine Katastrophe, sondern lediglich eines der fröhlichen Spektakel Sellars’ statt. Wenigstens die Hauptakteure Graham Clark und Willard White singen und spielen ein spannendes Todesspiel der entsetzlichen Vergnügtheit.


 
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