© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Volksgesundheit: Wie Kinder mit 80 verschiedenen Schokoriegeln fertiggemacht werden
Die dicken Dingen
von Ilse Meuter

Kein Autofahrer kommt an ihnen vorbei. Sie liegen getürmt und sortiert, verpackt in sämtlichen Farben des Spektrums, mit Namen wie Freiheit und Abenteuer: Twix (vormals Raider), Corny, Milky Way, Mars, Nuts, Snickers und Knoppers. Aber auch treudeutsche Gemüter werden marketingmäßig angeknabbert: Milchschnitte, Kinderüberraschung, Fruchtzwerge, Riesenriegel, Joghurette und wie sie alle heißen.

Sie liegen in Augenhöhe der Knirpse an der Supermarktkasse und werden als "Kindernahrungsmittel" unters Jungvolk gebracht. Der Müsliriegel für zwischendurch ist was für Mammi und Papi, die süße Zehnzentimeter-Versuchung von Suchard zielt auf die Naschhaftigkeit der Kids. Aus der eine Sucht zu machen, ist der heiße Wunsch von Ferrero, Nestlé und Cadbury. Dort entwirft man Waren-Images, die insbesondere den Müttern ins Gesundheits-Gewissen reden: es geht nicht um den grüblerischen Zweifel, ob frau heute auch "genug getan" hat für "das weißeste Weiß, daß es je gab", es geht um das höchste Gut überhaupt – die Gesundheit der Kinder.

Besonders gesund, ungeheuer lecker, besonders nahrhaft sollen sie sein, die Riegel. In Wahrheit sind sie bloß ungeheuer teuer, gemessen an dem, was der Kunde für sein Geld erhält. Mathilde Kersting, Leiterin des Instituts für Ökotrophologie an der Universität Dortmund, hat einen dicken Hals: "Nichts von dem stimmt, was in die Werbung herausposaunt!" Sie hat 80 Riegel von 31 Herstellern unters Mikroskop gelegt und zieht entsetzt Bilanz: "Diese Produkte bieten, was ihre Zutaten und angeblichen Nährstoffgehalt anbelangt, keinerlei Vorteile gegenüber herkömmlichen Lebensmitteln. Sie sind einfach nur anders verpackt."

Die Riegel seien "zu fett", "zu süß", nähmen den Platz wirklich wichtiger Nahrungsbestandteile ein. Vor allem die Werbung mit der "besonders großen Extraportion Milch" sei irreführend, denn nur zwei von allen 80 analysierten Riegeln weisen tatsächlich den für Kuhmilch typischen Kalziumgehalt auf. Reine Beutelschneiderei sei die sogenannte Pausenschnitte "für den kleinen Hunger zwischendurch": satt machen diese Produkte erst nach drei oder gar vier verschlungenen Exemplaren; es handle sich hierbei um überflüssige, fast gesundheitsschädliche Süßigkeitszufuhr, die mit anschließend gesteigerter Coca-Cola-Nachfrage nachgerade gekoppelt sei. "Was für Kleinkinder bis vier Jahre angeboten wird, fördert die frühzeitige Programmierung der Zellen zur Einlagerung von Fettdepots. Dies kann zur dauerhaften Übergewichtigkeit führen, einer typischen Zivilisationserscheinung. Was soll daran gesund sein?"

Einen großen Anreiz bilde die Ausstattung mancher Riegel mit Abziehbildern oder anderem wertlosen Schnickschnack, der sofort kaputtgehe, so Dr. Peter Grimm von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Stuttgart. Er analysierte für das Verbrauchermagazin "plus" 20 Riegel und kam ebenfalls zu alarmierenden Ergebnisssen: "Zu fett, zu süß, Vollkorn so gut wie nie enthalten! Zuviel Zucker, die Dinger liefern doch keine Energie! Viele Müsliriegel haben mit Müsli nichts gemein." Dr. Grimm: "Die Riegel bieten kleinere Portionen zu höheren Preisen. Es gibt Aufpreise bis zu 130 Prozent. Ein 50-Gramm-Riegel kostet achtzig Pfennig, eine 100-Gramm-Tafel mit derselben Zusammensetzung bloß eine Mark zehn! Damit tun Eltern ihren Kleinen nichts Gutes. Und ihrem Portmonnaie auch nicht."

Ein Firmensprecher von "Nestlé" zu den Forschungsergebnissen: "Unsere Erzeugnisse im Riegelsegment zeichnen sich durch hohe, oftmals gar höchste Milchgehalte aus. Sie bereichern die Nahrungspalette jeder Familie." Wer möchte da noch zweifeln, daß der deutsche Einzelhandel mit Riegelprodukten 1996 441.000.000 Mark Umsatz erzielen konnte. Dabei seien die, so die Verbraucherberatung NRW, "doch total überflüssig".


 
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