© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Urlaubs-Report: Warum der Obersalzberg Schloß Neuschwanstein Konkurrenz macht
Vorsicht, Schlangen!
von Kai Guleikoff

Das Watzmannmassiv im hochalpinen Gebiet Oberbayerns hat seit den 30er Jahren die Wirkung eines Leuchtfeuers für einsame Schiffer in sternloser Nacht. Eine wachsende Zahl von Rucksacktouristen mit markanten Gesichtszügen und einem mehr oder weniger trainierten Körper streben dem Berchtesgadener Land zu.

Gewimmel auf dem Bahnhofsvorplatz Berchtesgaden. Sonderbuslinie zum Kehlstein über Haltestelle Obersalzberg, einstige Sommerresidenz von Adolf Hitler. Offenbar der Bedeutung des Ortes angepaßt, ist ein bedeutend hoher Fahrpreis für wenige Straßenkilometer: 20 Mark für Hin- und Rückfahrt eines Erwachsenen. Die stehen zu Tausenden hier, offiziell wurden 300.000 im Jahr genannt. Es sollen jedoch mehr sein, doch der Königsee mit ausgewiesenen 800.000 Betrachtern muß an der Spitze der Statistik bleiben, schon des "guten Rufes" wegen. Ob damit allein das berühmte "Echo" gemeint ist?

Ein Sonderbus schließt vor uns die Türen – überfüllt. Im zweiten können wir sogar Sitzplätze ergattern, bereits leicht blessiert durch fremde Rucksäcke im Gesicht und klobige Bergschuhe in den Hacken. Es sind nur ein paar Fahrminuten über den alten Holzführweg, der ab 1937 zu einer steil ansteigenden, asphaltierten Bergstraße ausgebaut wurde. Ausstieg Bushaltestelle am Hintereck, Weiterfahrt nur für Besucher des Kehlsteinhauses.

Diese Hochalpenstraße ist als "Privatstraße" gekennzeichnet und mit einem Schlagbaum gesperrt. Wohl zur Steigerung der Erwartung, das Teehaus aller Teehäuser besuchen zu dürfen. Hoch über dem Königsee gelegen, sollte es einmal ausländischen Diplomaten Ehrfurcht lehren. Im Kriege nicht zerstört, vermittelt es bis heute das Flair dieser Gegend von 1937 bis 1945.

Der Hausherr aus dieser Zeit trank seinen Tee allerdings auf dem naheliegenden Moorlahnerkopf, 20 Gehminuten vom Berghof entfernt. Er schaute lieber auf das anheimelnde Salzburg in der Ferne als aus schwindelnder Höhe in den fjordähnlichen Königsee. Zählebige Mißverständnisse werden gepflegt, solange sie Geld einbringen.

Wir streben in Ortskenntnis dem "Platterhof" zu, der vormaligen Pension "Moritz" und dem bis 1995 betriebenen amerikanischen "Hotel General Walker". Der Zerstörung vom 25. April 1945 und danach entgangen, wird hier die Imposanz einer Architektur für tausend Jahre zelebriert. Betretenes Schweigen liegt über den wuchtigen Gebäuden, weil bis jetzt noch kein Konzept gefunden wurde, den Ort, den der "Führer" hier 1923 bei seinem ersten Besuch in Berchtesgaden zur Übernachtung wählte, den Touristen zurückzugeben.

Gleich daneben wird bereits auf den Grundmauern des ehemaligen Gästehauses "Göllblick" gebaut. Ein einzelner Bauarbeiter gibt freundlich Auskunft und bestätigt die Anfrage, ob der Wanderweg am Göll-Haus vorbei zum Berghof führen würde.

Kurz danach stehen wir vor den überwachsenen Resten der Stützmauer aus Beton des einst idyllischen Hauses "Wachenfeld", das nach dem großen Umbau 1935/36 zum "Berghof" wurde. Nach dem Krieg wurden die rauchgeschwärzten Außenmauern abgerissen, weil "das beliebte Ausflusziel zum Wallfahrtsort zu entarten drohte". Noch heute wurden die teilweise erkennbaren Reste aller ehemaligen Bebauungen auf dem Obersalzberg mit bedrohlichen Warntafeln versehen: "Vorsicht, Einsturzgefahr!", "Betreten verboten!" und "Vorsicht, Kreuzottern!".

Letztere Schilder sind von den Wiedereigentümern des Hotels Garni zum "Türken" angebracht worden, um den Zugang zu einer Wiese oberhalb des "Berghofes" zu verwehren, die den Blick auf das großartige Panorama zwischen Hochkalter und Salzburg gewährt, wie er ähnlich durch das riesige 8 mal 4 Meter große, versenkbare Fenster in der Halle des Berghofes freigegeben wurde.

Sogar das Fotografieren des "Türken" ist verboten, um eigene Ansichtskartenrechte durchzusetzen. Dafür kann der Wanderer gegen Eintritt Teile der Luftschutzbunker besichtigen. Auf die Kreuzotter aufmerksam gemacht, erfahren wir von der Anwesenheit der sehr scheuen, schwarzen Höllenotter, einer Unterart der Vipera berus. – Gewissermaßen die Nachfolger der 350 schwarzuniformierten Wächter, die hier, wie oberhalb der ehemaligen Großgarage, in den teuersten Postenhäusern der damaligen Welt standen. Gesehen haben wir keine, doch die verbotenen Wege sind wir besonders vorsichtig gegangen.

Wieder am Hintereck angelangt, zog uns ein kleiner Tumult in einem der zahlreichen Andenkengeschäfte an. Ein zwar alter, doch immer noch bullig wirkender Amerikaner forderte den Verkauf eines Maßkruges mit dem Bildnis des einstigen Herrn vom Obersalzberg.

Die dirndlgekleidete Verkäuferinnen schauten errötet zu Boden. Ein derart unmoralisches Angebot kam nun wirklich nicht jeden Tag vor. Doch der Kaufwillige war ein Sieger über diese vergessene Zeit und wollte nun eine späte Trophäe nach Übersee entführen.

Irgendwie hatte wohl der ehemalige Hausherr, der bis 1933 auch so gerne Tracht trug, das Schlimmste vermutet und am 54. Geburtstag in einer gemütlichen Kaminrunde geäußert: "Es wäre entsetzlich, wenn der Berghof nach meinem Tode zum Museum würde. Da wäre es besser, daß er als großartiger Scheiterhaufen in Flammen aufginge…"


 
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