© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Verhandlungen EU-Schweiz: Umbruch wegen Verkehr
Stau im Tunnel
Kommentar von Johanna Christina Grund

Nach zweieinhalbjährigen zähen Verhandlungen der Schweiz mit der EU um ein Abkommen, das der Eidgenossenschaft besseren Marktzugang in der "Union" sichern soll, befinden sich die Kontrahenten nunmehr im Sektor "Landverkehr" in einer Sackgasse ohne Wendeplatz. Das "rien ne va plus" im Roulette mit Brüssel ist einerseits logische Folge einer zu optimistischen Einschätzung des Gegners durch die schweizerischen Verhandler, genährt durch weitgehende Kompromißbereitschaft des Bundesrates, und andererseits der hinlänglich bekannten Taktik der EU, mit einem kleinen Land im Stile einer Großmacht umzugehen. Was die EU vorschlägt, gilt unumschränkt. Über die Position des Gegners kann man so lange streiten, bis er weichgekocht ist.

Das Ringen um einen Vertragstext ist unterbrochen, nicht abgebrochen. Mit der niederländischen Ratspräsidentschaft ging gar nichts mehr. Nun hat die luxemburgische Verkehrsministerin Mady Delvauy-Stehres, die seit 1. Juli für die EU-Staaten zuständig ist, gegenüber dem Informationsdienst "Medien-Netzwerk Alpen" einzulenken versucht. Beide Seiten stimmten zumindest darin überein, daß das Bahnangebot für den Güterverkehr ausgebaut und attraktiver gemacht werden müsse. Genau das will die Schweiz, und zwar viel konsequenter als die EU. Sie aber kann weiterhin eine nationale Transportpolitik betreiben. Ihre Nachbarn können das nicht, und das erschwert den Konsensus. Ohne Souveränitätsabtretung nach Brüssel wären staatliche Abkommen zwischen Österreich und der Schweiz und zwischen Frankreich und der Schweiz längst zustande gekommen. Im Grunde genommen brauchen die Nachbarn nämlich ein Abkommen mit der Schweiz nötiger als die Schweiz mit der gesamten EU. Der Transitverkehr stellt den heikelsten Punkt im gesamten Paket dar. Österreich und Frankreich möchten gern den vielhunderttausenfachen Umwegverkehr von 40 Tonnen schweren Lastzügen wegen der umweltschonenden Beschränkung der Schweiz wieder loswerden. In der EU werden ja ohne Rücksicht auf die alpine Natur massenhaft Rohstoffe, Halbfertig- und Fertigprodukte von Werkstätte zu Werkstätte hin- und hergekarrt. Vor allem in Österreich leiden die Anrainer des Unterinntales und des Wipptales zum Brennerpaß und des Oberinntales zum Reschenpaß unter der Lawine von Lärm und Gestank, die ihr "Ja" zum Beitritt trotz aufrechten Transitvertrages von 1992 ausgelöscht hat.

Österreich kann mit der EU aber nicht mehr gleichberechtigt verhandeln; es ist selbst Teil des Syndikats geworden. Die Schweiz aber kann und muß das aufgrund der Alpeninitiative sogar tun, die einen Verfassungsauftrag darstellt. Diesem Vorhaben dient der Transit der Vierzigtönner der EU auf der Schiene durch die Neat (Nationale Eidgenössische Alpen-Transversale). Der Bau von neuen Tunnelröhren durch Gotthard und Lötschberg kostet allerdings enorm viel Geld, das die Schweiz ohne eigenen Nutzen zu bezahlen hätte.

So entzündet sich der Streit mit der EU an der völlig anderen Auffassung über die Fiskalität. Die Schweiz wollte die fremden Lastwägen mit Gebühren von 600,– Franken (5.160,– Schilling) für die Strecke Basel – Chiasso belasten mit denen die Neat gebaut und betrieben werden könnte. Sie hat im Schlagabtausch mit Brüssel bereits auf Werte zwischen 400,– und 500,– nachgegeben, aber sie will einen Teuerungs-, sprich Inflationsausgleich für den Landverkehr nicht erst 2005, sondern mit Vertragsbeginn. Die Alpeninitiative verlangt im Prinzip ein Transitverbot für ausländische Vierzigtönner auf der Straße.

Die Unionsverhandler, die von der Achtung bestimmter Volksrechte in der direkten Demokratie keinerlei Ahnung haben und den meisten ihrer Völker nach "Maastricht" nun auch "Amsterdam" ohne Befragung aufbürden, aber sind am schweizerischen Umweltschutz überhaupt nicht interessiert. Wenn die Schweiz den Schwerlastenverkehr auf die Eisenbahn verladen wolle, dann solle sie die Kosten dafür selber tragen. Der Bundesrat in Bern kann somit derzeit nicht weiterverhandeln, ohne vor dem Volk das Gesicht zu verlieren und ein Volksabstimmungs-Nein regelrecht zu provozieren. Bundesrat Moritz Leuenberger als Verkehrsminister gab dies auch auf dem internationalen Bahnkongreß in Luzern unumwunden zu. Das Abkommen mit der EU wird auf 1998 verschoben, wobei Leuenberger der EU und Verkehrskommissär Neill Kinnock der Schweiz mangelnde Flexibilität vorwirft.

Auf einen Durchbruch während Österreichs Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1998 zu hoffen, weil Österreich vitales Interesse an einer Entlastung vom Transitverkehr habe und selbst die LKW-Maut erhöhen wolle, mag allerdings trügerisch sein. Österreich will heute nur aufbessern, was der Transitvertrag nach dem Beitritt nicht mehr bringt und muß Rücksicht auf die Profitgier seiner "EU-Brüder" mit großen LKW-Flotten nehmen. Weiters will die Wiener Regierung verhindern, daß die Schweiz als souveräner Verhandler außerhalb der EU besser gestellt wird als Österreich in dieser Union.


 
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