© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Nationalsymbole:
Ode an das Eigene

Kommentar
von Dieter Stein

Die Nationalhymne feiert ihren 75. Geburtstag. Der Tag, an dem der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert das populäre "Lied der Deutschen" faktisch zur Nationalhymne erhob, wirft ein Licht auf den steinigen, schweren Weg des Volkes in der Mitte Europas zu politischer Einheit, der gepflastert ist von Streit, Spaltung und Bürgerkrieg.

Doch das "Lied der Deutschen", das diesen Streit und Zank mit überwinden half, wird zu selten gesungen. Es steht zwar in den Schulen auf den meisten Lehrplänen - doch es wird in den seltensten Fällen noch wirklich gelernt. Wer kann das Lied noch singen? Die Nationalhymne ist ein Volkslied, das öffentlich praktisch kaum eine zeremonielle Rolle spielt.

Nun wird oft von aufgeweckten Kritikern dagegen eingewandt, das Zeitalter der Nationalstaaten sei vorbei, die Zeit nationaler Symbolik erst recht. Also sei es einfach nicht mehr zeitgemäß, in einer solchen Weise nationale Seelenverwandschaft anzurufen und zu bezeugen. Die ernsten Worte Friedrich Eberts, der das Deutschlandlied 1922 zur Hymne erhob, berühren aber den zeitlosen Sinn dieser Symbolik:

"Wir wollen keinen Bürgerkrieg, keine Trennung der Stämme. Wir wollen Recht. Die Verfassung hat uns nach schweren Kämpfen Recht gegeben. Wir wollen Frieden. Recht soll vor Gewalt gehen. Wir wollen Freiheit. Recht soll uns Freiheit bringen. Wir wollen Einigkeit. Recht soll uns zusammenhalten. So soll die Verfassung uns Einigkeit, Recht und Freiheit gewährleisten. Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten. Sein Lied, gesungen gegen Zwietracht und Willkür, soll nicht Mißbrauch finden im Parteienkampf, es soll nicht der Kampfgesang derer werden, gegen die es geschrieben war; es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung. Aber so, wie einst der Dichter, so lieben wir heute "Deutschland über alles". In Erfüllung seiner Sehnsucht soll unter den schwarzrotgoldenen Fahnen der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle seinÉ"

Ebert spricht diese Worte in einer Situation aus, in der Deutschland mehrfach zerrissen und gespalten ist: Äußerlich durch das Versailler Diktat territorial amputiert, moralisch durch den Vorwurf der Alleinschuld am Ersten Weltkrieg entrechtet und durch astronomische Reparationsforderungen wirtschaftlich stranguliert war es innerlich zerrissen in politische Lager, die sich mit feindlichem Haß gegenüberstanden. Der Bürgerkrieg war keine hohle Phrase, sondern eine Realität. Putsch wurde von Streiks abgelöst, politischer Mord war an der Tagesordnung.

So haben nationale Symbole zu allerst die Aufgabe, eine bitter und oft blutig bezahlte Einheit, sagen wir simpler, einen "Minimalkonsens" zu beschwören. Die nationalen Symbole künden davon, was den "Laden zusammenhält, wenn´s mal dicke kommt".

Deutschland tut sich damit sehr, sehr schwer. Die Symbole haben in den vergangenen hundert Jahren oft gewechselt. Mal versuchten sie halbherzig, mal angestrengt-pathetisch die Deutschen hinter sich zu vereinen. Der "Flaggenstreit" der Weimarer Republik zeugte von dieser Halbherzigkeit, die Symbole des Dritten Reiches haben der nationalen Symbolik den Beigeschmack von Pathos und Pomp verliehen. Im Nationalsozialismus wurde der Reichsadler auf die Streckbank gelegt und erhielt das Sonnenrad in die Krallen gezwängt.

Das Deutschlandlied mußte aber nie gegen den Willen des Volkes zur Nationalhymne erhoben werden. Friedrich Ebert, Konrad Adenauer und Helmut Kohl vollzogen stets nur, was bereits Realität war: Das Lied der Deutschen wurde von der Mehrheit nie als unzeitgemäß empfunden. Die verschiedenen Versuche, das von Hoffmann von Fallersleben gedichtete Lied durch ein anderes zu ersetzen, scheiterten kläglich. Theodor Heuss bemühte sich zuletzt Anfang der fünfziger Jahre, den Deutschen ein neugedichtetes Lied "Hymne an Deutschland" überzustülpen. Das Volk wollte aber kein anderes Lied singen.

Ein fester Bestandteil öffentlicher Anlässe ist das Lied dennoch nicht geworden. Wann wird sie denn gesungen, die Nationalhymne? Bei Fußball-Länderspielen. Sonst nicht mehr. Hätte jemand in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 vor dem Brandenburger Tor das Deutschland-Lied angestimmt, kaum einer hätte noch den Text gekannt.

Nationale Symbolik ist Spiegelbild des kollektiven Selbstbewußtseins. Drückt man sich um jede Form öffentlicher Repräsentation herum, so ist ein solches Selbstbewußtsein auch kaum vorhanden. Wenn Deutschland sich präsentiert, durch Politiker, Militärs, an öffentlichen Feiern, Gedenktagen, so ist dies eine Mischung aus linkischer Unsicherheit und schwiemeliger Biederkeit.

Die grundmenschliche Sehnsucht nach demonstrativem Bekenntnis zur Gemeinschaft kanalisiert sich so vornehmlich bei Fußball-Länderspielen, bei der Love-Parade oder beim Kult um Marken (ob bei der Mode oder beim Auto). Die Form des Bekenntnisses zur eigenen Nation im Sinn des "Liedes der Deutschen" kann das nicht ersetzen.


 
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