© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Im Gespräch: Heinrich Lummer über seinen Abschied von der Politik
"Ich bin kein Lotse"
von Thorsten Thaler

Herr Lummer, Sie haben angekündigt, 1998 nicht wieder für den Bundestag kandidieren zu wollen. Warum?

Lummer: Ich komme ins Rentenalter, werde dieses Jahr 65. Im nächsten Jahr, wenn die Wahlperiode zu Ende ist, bin ich 66, und da fängt bekannterweise das Leben richtig an.

Gibt es auch politische Gründe, die Sie dazu bewogen haben?

Lummer: Ich möchte es ganz schlicht und einfach so sagen: Ein Beruf muß einem auch Spaß machen, und Politik macht in der letzten Zeit keinen Spaß.

Warum nicht?

Lummer: Wir haben uns zu viele Probleme aufgehalst in der Politik, die vermeidbar gewesen wären, und man fragt sich, ob die Handlungskompetenz und die Handlungsfähigkeit hinreichend vorhanden sind.

Gerade Ihre Partei ist seit 15 Jahren maßgeblich

Lummer: Ich rede nicht von einer bestimmten Partei. Ich glaube, daß wir im Moment in einer Situation sind, wo sich die Frage stellt, ob unser politisches System die Fähigkeit und Bereitschaft zu einem nationalen Konsens hat. Sonst kann das Patt zwischen Bundestag und Bundesrat nicht aufgeboben werden. Diese Fähigkeit zum nationalen Konsens, die ja in Amerika unbeschadet der Mehrheiten zwischen Kongreß und Präsident immer wieder gefunden wurde, diese Fähigkeit ist bei uns offenbar abhanden gekommen.

Vor zehn Jahren haben Sie in ihrem Buch "Standpunkte eines Konservativen" geschrieben, der Konservative sei gerade dann "gerufen, wenn die Dinge aus dem Lot geraten und die Zeit aus den Fugen läuft". Trotzdem gehen sie von Bord.

Lummer: Ich bin ja kein Lotse gewesen wie Bismarck.

Trotzdem: Spricht aus Ihrem Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur nicht auch Resignation?

Lummer: Nein. Meine politischen Aufgaben habe ich in Fülle gehabt. Ich war über zehn Jahre Fraktionsvorsitzender, ich war Präsident des Abgeordnetenhauses und Innensenator. Dann bin ich der Neigung gefolgt, nicht mehr Innen- sondern Außenpolitik zu machen, was mir auch Spaß gemacht hat. Also, da gibt es keine Resignation auf Grund unerfüllter Wünsche. Es ist wirklich die allgemeine politische Lage, die für mich unbefriedigend ist. Und ich sehe auch nicht, wie man das ändern kann.

Aber reizt es den Berliner Politiker Heinrich Lummer nicht, dem nächsten Bundestag anzugehören, der dann im Reichstagsgebäude residiert?

Lummer: Das ist ein echter verbliebener Reiz, der mich lange hat zögern lassen. Das wäre wirklich sehr schön, aber man kann ja so eine Sache nicht auf Zeit machen, sondern muß dann vier Jahre durchhalten.

Für Alfred Dregger, der 12 Jahre älter ist als Sie, ist genau das die Motivation, noch einmal antreten zu wollen.

Lummer: Das kann ja jeder so machen, wie er will. Das wirklich Unangenehme in der aktiven Politik besteht darin, daß man aus der Substanz lebt. Man kann keine Bücher lesen, man hat nicht die Zeit, sich geistig zu regenerieren. Deswegen bin ich ja auf die von manchen als Schnapsidee empfundene Überlegung gekommen, nochmals studieren zu wollen. Weil ich auch eine Reihe von Kollegen kenne, die früher mal in der Politik waren, die das gemacht haben und denen das sehr viel Freude bereitet hat.

Sie gelten wie Alfred Dregger als Symbolfigur des konservativen Unions-Flügels. Sie verzichten freiwillig, Dregger hat Schwierigkeiten in Hessen, erneut nominiert zu werden. Bedeutet das denn nicht den Verlust eines ganz wesentlichen Teils der Union, wenn die Konservativen weg sind?

Lummer: Dregger hat ja seit langer Zeit keine wesentliche Rolle mehr im Parlament gespielt, seitdem er nicht mehr Fraktionsvorsitzender ist. Ich glaube nicht, daß man da versucht, einen Konservativen wegzubekommen, sondern jedes Ding hat seine Zeit und jeder Mensch auch. Es ist sicher besser, freiwillig zu gehen als "gegangen zu werden". Nun habe ich das Problem nicht, die Spandauer hätten mich bestimmt gern weiter als Abgeordneter gesehen. Ich bin deswegen auch gebeten worden.

Trotzdem können konservative Wähler mit den sogenannten Jungen Wilden ihrer Partei nicht so fürchterlich viel anfangen.

Lummer: Das geht mir ja genauso, keine Frage, daraus habe ich auch nie ein Hehl gemacht. Es gibt einen wesentlichen Teil der Wählerschaft, vor allem der CDU/CSU-Wählerschaft, der konservativ geprägt ist und der in diesem momentan vorhandenen Parteiensystem nicht hinreichend repräsentiert ist. Insofern gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird die CDU, wenn sie in die Opposition gehen muß, wieder konservativer. Oder aber es fehlt eine Partei in unserer Parteienlandschaft, die diese Wählerschaft repräsentiert. Die Problematik ist bekannt, daß jede rechte Partei mit der Faschismuskeule totgeschlagen wird. Man muß nicht Haider kopieren, aber das Beispiel …sterreichs zeigt, daß es einen Bedarf für nationalkonservativen Wähler gibt. In Deutschland wäre es richtig gewesen, wenn die Freien Demokraten ihre nationalliberale Tradition entdeckt hätten und nicht Wähler suchen, wo Grüne, PDS und die SPD sie ebenfalls suchen.

Das ist eine Analyse, die Sie auch schon früher geäußert haben. Die CDU hat sich nach der Regierungsübernahme nach links verschoben, während die Entwicklung bei den Wähler eher nach rechts verläuft. Sehen Sie das heute auch noch so?

Lummer: Das sehe ich nach wie vor so, und ich halte es für einen Mangel, daß für diese Wähler keine Alternative vorhanden ist.

Was also soll der rechte Wähler tun?

Lummer: Wenn es keine Alternative in Form einer anderen Partei gibt, dann bleibt nur die Möglichkeit, das "kleinere Übel" zu wählen. Das ist immer so gewesen.

Das bedeutet politische Stagnation und führt nicht zu Veränderungen.

Lummer: Irgendwann wird das schon der Fall sein, wobei ich nicht über die nächsten Wahlen philosophieren will und welche Themen da eine wirkliche Rolle spielen und wie die Parteien das angehen werden. Es ist ja alles noch im Stadium der Entwicklung. Der Bundeskanzler wird sicherlich mit großer Vehemenz und großem Engagement in den Wahlkampf hineingehen. Und ich gehöre nicht zu denen, die ihn totsagen. Aber ein demokratischer Wechsel ist irgendwann fällig, das läßt sich gar nicht vermeiden.

Was halten Sie von Gerhard Schröder?

Lummer: Gerhard Schröder ist ein sehr stark anpassungsfähiger Populist. Nun bin ich der Letzte, der einem Politiker Populismus vorwirft, weil ich glaube, das Normale in der Politik ist, daß man dem Volk aufs Maul schaut und das tut, was das Volk will. Jedenfalls sollte das im Regelfall so sein. Das nehme ich dem Schröder wirklich nicht übel. Aber wenn er beim Thema Innere Sicherheit Dinge anspricht, von denen er von vornherein weiß, daß seine Partei nicht mitmachen wird, dann ist das ein bißchen sehr kurios und zeigt die ganze Problematik.

Was macht der Privatier Lummer nach seinem Ausscheiden aus der Politik?

Lummer: Schau"n wir mal. Ich möchte nochmal studieren, um mich innerlich und geistig zu regenerieren. Das halte ich schon für wichtig für ein sinnerfülltes Leben. Sterben werden wir alle mal. Da will man ja auch sagen können, es war eine abgerundete Sache.

Was wollen Sie denn studieren?

Lummer: Kunstgeschichte und ein bißchen Philosophie.

Was verbindet Lummer mit Kunst?

Lummer: Was ihn verbindet? Für mich ist das ganz wesentlich, das kommt normalerweise natürlich nie zum Tragen, wenn man Politik macht, weil da keiner nachfragt und es keinen interessiert, aber ich habe dazu einfach eine persönliche Beziehung. Vor allen Dingen liebe ich Burgen, Schlösser, Kirchen und Klöster. Und da gibt es nach der Wiedervereinigung Deutschlands noch vieles zu entdecken.


 
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