© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Leni Riefenstahl wird 95: Ein Genie zwischen Kunst und Führerkult
Die schöne Spanische Wand

von Thorsten Hinz

Über Leni Riefenstahl ist schon alles gesagt worden, aber auch an ihrem 95. Geburtstag ist nichts davon erledigt. Bruchstücke ihrer Ästhetik sind in Wim-Wenders-Filmen genauso gegenwärtig wie in der Werbebranche. In der DDR ließen sich die Organisatoren der Turn-und Sportfeste von ihren Filmen inspirieren. Selbst ihre Kritiker räumen ein, daß sie die vielleicht größte Dokumentar-Regisseurin aller Zeiten ist. Der Prolog zum zweiteiligen "Olympia"-Film mit der Statue des Diskuswerfers von Myron, der sich langsam in Bewegung setzt, und der anschließende Staffellauf von Athen nach Berlin, durch Zeit und Raum, hat klassischen Rang. Ihre Filmkunst läßt sich in NS-Ideologie gewiß nicht auflösen. Andererseits geht das Argument, die Filme seien "unpolitisch", drückten nur "Schönheit" aus, die "Form" müsse vom "Inhalt" getrennt werden, schon deshalb an der Sache vorbei, weil, so Umberto Eco, die Form der Inhalt ist.

Es ist unbestreitbar, daß der Film "Triumph des Willens" über den NSDAP-Parteitag 1934, indem er Politik in ein Gesamtkunstwerk verwandelt, mit ästhetischen Mitteln politische Ziele ausdrückt. Zu Beginn ertönt an Wagner angelehnte Musik, die Untersicht auf den Reichsadler erscheint, dann ist zu lesen, daß Adolf Hitler nach Nürnberg geflogen sei, "um Heerschau abzuhalten über seine Getreuen". Dazu wird die Totale aus dem Flugzeugcockpit geboten, Wolken, die Landung in Nürnberg, der Empfang durch die jubelnden Massen: der Heiland ist zu den Deutschen gekommen! Damit hat Riefenstahl dem Hitler-Mythos die erst- und letztgültige visuelle Ausformung gegeben.

1902 geboren, waren auch für sie Krieg, Nachkriegswirren, Zusammenbruch prägende Erlebnisse. In ihrer Autobiographie erwähnt sie den großen Eindruck durch die Filme von Sergej Eisenstein. Wenn man in den zeitgenössischen Filmkritiken blättert, dann waren es das Fluten der Massen, die temporeichen Schnitte, die überraschenden Kameraeinstellungen, die banalen Vorgängen eine auratische Qualität verliehen, die an Eisenstein begeisterten, sowie die propagierte Revolution als Erlösung mittels politischer Entscheidung. Hier korrespondierte Leni Riefenstahl mit der künstlerischen Moderne und einem Zeitgeist auch jenseits der Grenzen. Für "Triumph des Willens" erhielt sie 1937 auf der Internationalen Ausstellung für Kunst und Technik in Paris den Großen Preis. Anläßlich ihrer Olympiafilme "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" überschlug sich die internationale Presse in Lobeshymnen.

Als nachträglich abgedrehtes Vorspiel zum Parteitags-Film könnte Ingmar Bergmans 1923 spielendes "Schlangenei" gelten, an dessen Ende in Schwarz-Weiß-Aufnahmen junge, ausgmergelte Leute an der Kamera vorbeiziehen. In "Triumph des Willens" erscheinen diese hungrigen, atomisierten Menschen erlöst, zusammengeschmolzen zur kompakten Einheit, mit neuem Selbstbewußtsein, das allerdings allein auf der Annahme beruht, Teil einer auserwählten Gemeinschaft zu sein. Verkünder dieser Gewißheit ist der "Führer", dem man "glaubt". Die Massen werden zum Ornament, in dem jeder seinen angewiesenen Platz hat, der ihm Rang und Wert verleiht, der aber auch bedingungslose Unterwerfung vorausetzt. Außerhalb davon ist der Einzelne nichts, weil alternative Strukturen und Wertsysteme nicht existieren. Dies vor Augen, schrieb Walter Benjamin, der Nationalsozialismus suche "sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen … Der Faschismus läuft folgegerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus." (Kursiv im Orig.) Die erzielte Suggestion ist ohne die erotische Komponente nicht erklärbar. Hitler hatte das Reden als Liebesakt beschrieben, in dem der Führer der Mann, die Hörerschaft die überwältigte Frau sei. Es ist analysiert worden, daß Riefenstahl diese Triebablenkung auf die Politik, auf das Erlebnis von Führer und Masse genau dokumentiert, aber nie subversiv unterlaufen hat.

Ihre Filme schöpfen keineswegs bloß aus der NS-Sphäre und zielen über die Politik hinaus. In einer bestimmten, schon lange vor 1933 erschienenen Literatur ist der Wunsch nachzulesen, die unwägbar Sexualität in ein Naturerlebnis abzubiegen: Statt des Geschlechtsaktes erfolgt die Triebabwehr durch das Bad im Wald- oder Bergsee, mithin die Vereinigung mit der Natur: einer überindividuellen, naturgegebenen Ordnung. Was Ernst Bloch als Teil des Zivilisierungsprozesses beschreibt: daß die Natur für den Menschen, der aus ihr heraustritt, zur Landschaft wird, sucht Riefenstahl mit dem Lauf der nackten Sportler durch die Natur in "Fest der Schönheit" wieder rückgängig zu machen.

Leni Riefenstahl wollte mit ihren Bildern nicht nur den Triumph des Glaubens über den Zweifel, des Masseninstinkts über Intellekt und Individualismus, die Überwindung der Kluft zwischen Mensch und Natur antizipieren. Sie hat die Utopie des nichtentfremdeten Neuen Menschen, der im organischen Zusammenhang mit Natur und Gesellschaft steht, als Glückzustand einer totalitären Diktatur affirmiert. In den Gesichtern der SA-Männer, HJler und Sportler ist keinerlei Zweifel zu sehen, nur die eindimensionale Hingabe an die "Sache". So entsteht der Schein der "Schönheit", der "milden hohen Übereinstimmung alles dessen, was unmittelbar, ohne Überlegen und Nachdenken zu erfordern, gefällt" (Goethe). Doch die Rückverwandlung der Moderne in einen "Naturzustand" kann nur artifiziell sein; die zwangsläufige – bei ihr allerdings nicht einmal erahnbare – Kehrseite sind Tabuisierung, Verbot, Terror.

Wegen dieser Aporie drapiert die anhaltende Lust an der Riefenstahl-Ästhetik sich vorzugsweise ablehnend, aufklärerisch, antifaschistisch. Der Fotograf Helmut Newton lichtete den "Ex-Führer von Berlin", Ingo Hasselbach, mit entblößtem Oberkörper ab. Auch die Dokumentarfilme über Hasselbach und sein Münchner Pendant Ewald Althans wären daraufhin zu untersuchen, wieweit sich darin das klammheimliche Entzücken an kraftvoller Maskulinität als Gegentendenz zur feminisierten Gesellschaft offenbart. Susan Sontag, als sie 1974 ihre Befürchtungen über eine Riefenstahl-Renaissance äußerte, verwies auf die Vorliebe der sadomasochistischen und Schwulen-Szenen an erotisch aufgeladenen NS-Accessoires, mit denen der von Zwängen befreite, an der Freiheit aber leidende Mensch seinen Hang zur Unterwerfung inszeniere und auslebe.

Die Sehnsucht nach Schönheit ist legitim eingeschrieben in jedes Kunstwerk, wo es die ästhetische Spannung zur kruden Empirie herstellt. Der Versuch aber, die Welt mit Macht in Schönheit zu verwandeln, gleicht der Errichtung einer Spanischen Wand, hinter der statt eines erhöhten Lebens die Barbarei und der Tod lauern.


 
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