© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Pankraz, Erich Weinert und der Kampf des BKA an der Musikfront
von Günter Zehm

Unsere demokratische Republik ist offenbar wieder ein-mal in ihren Grundfesten akut bedroht, und zwar durch die "Skinhead-Musik". Nach Auskunft der Bonner Familienministerin Nolte ist diese Musik zu einer "öffentlichen Gefahr allerersten Ranges" geworden. Immer mehr junge Leute wendeten sich von der demokratischen Rockmusik ab, um den menschenverachtenden Klängen der Skinmusik zu lauschen und sich an ihnen zu berauschen. Die Zahl der Skinkonzerte habe sich "zwischen 1995 und 1996 mehr als verdoppelt". Dem müsse endlich ein Riegel vorgeschoben werden.

Sofort wurde das Bundeskriminalamt aktiv, trotz der dort herrschenden Arbeitsüberlastung wegen Anti-Mafia- und Anti-Drogen-Kampf. In einer teuren und personalaufwendigen, vom BKA sorgfältig koordinierten Nacht- und-Nebelaktion schlugen vorvergangene Woche die Einsatzkommandos von zehn Landesämtern gleichzeitig zu. 24 Jugendliche, die 16 Vertriebe repräsentierten, seien samt ihren CDs festgenommen worden, meldete nach erfolgreichem Abschluß der "Großrazzia" das BKA. Entwarnung könne aber nicht gegeben werden. Der Hydra wüchsen ständig neue Köpfe nach.

Die Bild-Zeitung machte den Krieg gegen die Skinmusik groß auf Seite eins auf, gleich neben Gerhard Schröders Ehescheidungsgeschichten und der mutmaßlichen Bluttat des Gitarrenpastors von Beienrode. Und auf der diekmannfreien Politikseite zwei schob ein zahnloser Tattergreis staatsbürgerlich aufs höchste besorgte Kommentarworte hinterher. Zwar könne hierzulande jeder singen, was er wolle, aber: "Das Ausland hört mit!" Und deshalb müsse die gewalttätige Skinmusik gnadenlos verfolgt werden.

Pankraz war beeindruckt. Er schaltete den Musikkanal MTV ein, um einmal zu erfahren, wie menschenverachtende, gewaltverherrlichende Skinmusik klingt. Ein überfetter Schwarzer kurvte in einem offenen Ford-Cabrio durch New Yorker Tiefgaragen und röchelte dabei "Baby, baby, body, body!" Das sei, so erklärte anschließend der Disjockey, ein "Kultstück", ein "Testament", denn soeben habe ein Baby den keuchenden Rapper in seinen fetten Body geschossen und nun sei der also tot.

Pankraz zappte weiter auf Viva. Doch auch dort nichts weiter als Demokratie und multikulturelle Gewaltfreiheit. Ein gemischtfarbiges Mädchen-Terzett auf dünnen Beinen und mit häßlichen Frisuren kreischte immer wieder "Verpiß dich, verpiß dich!" Dann kam eine weitere Girlgroup auf nicht ganz so dünnen Beinen und mit etwas hübscheren Frisuren und sang im höchsten Diskant: "Ich find dich Scheiße, ich find dich Scheiße". Der Scheiße-Song, erläuterte hier der Jockey stolz, sei "in den Charts" gerade von Platz sieben auf Platz Nummer zwei aufgestiegen.

Jetzt wurde Pankraz etwas ungeduldig. Wo waren denn die menschenverachtenden Skins, die nach Auskunft von Frau Nolte unsere musikalische Jugend immer fester in ihre Fänge bekommen? Waren sie vielleicht auf der sogenannten "Love Parade" in Berlin zugange gewesen, jenem kulturellen Großereignis, das mitzuerleben Pankraz leider total versäumt hat? "Aber nein", beruhigte ihn ein haupstädtischer Musikredakteur, "auch bei der Love Parade wurde nur baby, baby, body, body gesungen und fleißig in den Tiergarten gepißt und geschissen. Tausende von Ziersträuchern und seltenen Pflanzen sind dabei eingegangen, doch Menschen sind nicht zu Schaden gekommen."

Nun wandte sich Pankraz, der allmählich richtig scharf auf das Hören eines waschechten Skinsongs geworden war, an diverse einschlägige Zeitschriften, die über Adressen von Vertrieben mit "rechtem Liedgut" verfügten. Oh, was für Kassettenfreuden wurden ihm da zuteil! Gruppen mit so exotischen Namen wie "Ataraxia", "Camerata Mediolanense", "Stoa", "Sol Invictus", "Ordo Equitum Solis", keltische, urgermanische, ladinische und original lateinische Gesänge, mittelalterliche Spielmannsklingeleien und Schnurpfeifereien – alles mit rührender Hingabe rekonstruiert oder neu imaginiert, ein Unternehmen Volkshochschule reinsten Wassers. War es wirklich das, was Frau Nolte und das BKA so wuchtig auf die Palme gebracht hatte?

Oder war es die Musik von "Death in June", Lieder wie "Roseclouds of Holocaust", "Runes and Men", "But, What Ends When The Symbols Shatter"? Diesen Nummern kann man ja tatsächlich, wenn man auf Ideologie-Fixierung aus ist, eine "faschistische Aura" andichten – aber es sind angelsächsische Nummern, es ist englische oder amerikanische Musik, das Ausland braucht bei ihr nicht mitzuhören, weil sie selber Ausland ist.

Außerdem darf man daran zweifeln, ob deutsche Skins ausgerechnet diese zwar klanglich raffinierten, aber wohl auch ein bißchen feierlichen Lieder anstimmen, wenn sie sich ihren Frust vom Gemüt jodeln wollen. Es muß noch etwas anderes geben. Und tatsächlich: "Ja", sagte der oben zitierte Musikredakteur, "es gibt wahrscheinlich so etwas wie eine echte Skinmusikszene, tausend Figuren höchstens, Deutschland und Österreich zusammengerechnet. Die üblichen Rocktöne halt mit ausländerfeindlichen Kraftsprüchen. Die Typen lassen ihre CDs billig in Preßwerken in Prag oder Budapest herstellen, hab’ ich mir erzählen lassen. Wie das klingt, weiß ich allerdings auch nicht."

Pankraz ist der Frau Ministerin Nolte und dem BKA und der Bild-Zeitung trotzdem dankbar, daß sie uns und vor allem das Ausland so tapfer und aufwendig vor dieser schlimmen Musik-Szene schützen. Was für Schwierigkeiten müssen die armen Undercover-Agenten überwinden, um an die mißliebigen Töne heranzukommen! Wieviel Mühe, wieviel Gefahr, wieviel unterdrückter Abscheu! Oder macht es ihnen vielleicht Spaß? Auch das wäre immerhin denkbar. Schließlich reimte schon zu DDR-Zeiten der SED-Kabarettist Erich Weinert, der es wissen mußte: "Der Zensor muß ein größ’res Schwein / Als alle Zensurierten sein".


 
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