© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Danzig: Auch deutsche Fachleute haben zum Wiederaufbau beigetragen
Besorgt um ein deutsches Stadtjuwel

von Werner Hewelt (KK)

In diesem Jahr 1997 werden in Danzig "1000-Jahr-Feierlichkeiten" durchgeführt. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum erscheint ein Buch von Professor Dr.-Ing. Wolfgang Günter Deurer, in dem er einen umfassenden Einblick in die Geschichte des Danziger Kirchenbaus gibt. Dieser Überblick über vorhandene und heute nicht mehr bestehende Kirchen ist ein interessanter Beitrag zur weiteren Entwicklung der Hansestadt an der Ostsee in der jüngsten Vergangenheit mit der fast völligen Zerstörung der historischen Innenstadt und den sich anschließenden Rekonstruktionsbemühungen.

Der teilweise Wiederaufbau der Danziger Innenstadt nach den Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Polen wäre in diesem Umfang und in der von aller Welt bestaunten Gründlichkeit niemals möglich gewesen, hätte es in den letzten Kriegsjahren nicht in der Kultur- und Bauszene engagierte deutsche Fachleute gegeben, die Danziger Bau- und Kunstdenkmäler registriert und dokumentiert hätten. Die Konservatoren sorgten auch dafür, daß diese kostbaren Kulturgüter meist außerhalb der Stadt ausgelagert wurden. Das Wiederauffinden vieler dieser unersetzbaren Bauteile und Kunstwerke, die ohne die rechtzeitige Konservierung sicherlich durch Kriegseinwirkung endgültig verlorengegangen wären, trug in erheblichem Maße dazu bei, daß die Rekonstruktionsarbeiten oder die Restaurierung der kirchlichen und profanen Bauten, von Wohn- und Geschäftsgebäuden wie auch von besonderen Kultureinrichtungen bis in Einzelheiten der Inneneinrichtung erleichtert, ja oftmals erst ermöglicht wurden.

Man muß sich die Situation im Danzig der Nachkriegszeit vorstellen, als man sich zur Rekonstruktion der im Mittelalter entstandenen einmaligen Innenstadtgestaltung entschloß. Nur wenige der bis 1945 im Bau- und Kulturbereich tätigen Stadtplaner, Architekten, Denkmalpfleger waren in Danzig geblieben. Neue Fachleute mußten sich erst in die Baugeschichte der Stadt einarbeiten. Man war im wesentlichen darauf angewiesen, was in Archiven und Bibliotheken an Unterlagen vorgefunden wurde. Glücklicherweise gab es noch eine Vielzahl von Arbeiten, Veröffentlichungen, Zeichnungen, Fotos und dergleichen, auf die man zurückgreifen konnte. Das Stadtbild Altdanzigs hat seit jeher die Aufmerksamkeit und Bewunderung von Baumeistern und Künstlern gefunden, die sich mit der Kultur, der Kunst und Architektur der Hansestadt befaßt hatten, beispielsweise Aegidius Dickmann, Bartel Ranisch, Johann Carl Schultz, der Westpreußische Archtekten- und Ingenieursverein oder die letzten Danziger Denkmalpfleger vor 1945, Otto Kleppel und Erich Volmar. Zu nennen sind auch der Historiker Erich Keyser oder der letzte deutsche Museumsdirektor des Stadtmuseums, Willi Drost.

Weniger bekannt ist die Aufmerksamkeit, die Danzig in den letzten Kriegsjahren durch die Regierung in Berlin zuteil wurde. Sie bestellte den Architekten und Konservator im Staatsdienst, Jakob Deurer, zum Leiter der "Baugruppe Keibel" und beauftragte ihn mit der bautechnischen Dokumentation Danziger Kunst- und Baudenkmäler. Mit diesem Auftrag wollte man nach einer eventuellen Kriegszerstörung die Wiederherstellung der Innenstadt ermöglichen.

1941 übersiedelte die Familie Deurer zusammen mit den anderen Familien der "Baugruppe Keibel" nach Danzig. Man registrierte sorgfältig, machte genaue Bestandsaufnahmen in den Kirchen und anderen profanen historischen Gebäuden und sorgte dafür, daß viele Kunstgüter und Teile der wertvollen Einrichtungen abgebaut und außerhalb der Stadt verbracht wurden. Die in Danzig bei Kriegsende darüber vorhandenen schriftlichen und zeichnerischen unterlagen gingen dann allerdings bis auf einen einzigen Band verloren. Glücklicherweise konnten die von Jakob Deurer persönlich angefertigten Aufzeichnungen und Teile der ihn besonders interessierenden Dokumentationen gerettet werden.

Jakob Deurer, nach dem Krieg Dombaumeister, Architekt und Konservator in Wesel, kam nicht mehr dazu, seine Unterlagen und Erfahrungen nach Danzig zu geben, um am dortigen Wiederaufbau mitzuwirken, er verstarb 1960. Sein Sohn, seit 1961 ebenfalls als Dombaumeister und Architekt in Wesel tätig, übernahm das Büro des Vaters und dessen Aufgaben. nach Einblick und Sichtung der Danzig betreffenden Unterlagen kam er zu der Überzeugung, daß dieses Material in die Hände polnischer Architekten, Kunsthistoriker und Konservatoren gehörte. Doch 1967, als er Kontakt zu den dortigen Behörden aufnahm, stieß er auf Unverständnis. Erst Anfang der 70er Jahre kam Bewegung in die Verhandlungen, schließlich nahm der polnische Staat 1978 das Werk Jakob Deurers offiziell entgegen und bot dem Sohn Arbeitsmöglichkeiten in allen Institutionen Danzigs. Seit 20 Jahren ist Professor Wolfgang Günter Deurer, der selbst von 1942 bis 1945 in Danzig gelebt hatte, auch an der dortigen Universität in Forschung und Lehre tätig.

Sein Buch "Danzig. Die Dokumentation 52 historischer Kirchen", ist für 128 DM über seinen Verfasser (46485 Wesel, Schepersweg 7) zu beziehen. Es baut auf den Vorarbeiten des Vaters auf, geht aber darüber hinaus. Auf 535 großformatigen, reich bebilderten Seiten macht es die gemeinsame Verantwortung für die Erhaltung des europäischen kulturellen Erbes anschaulich.


 
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