© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Währungsreform 1999: Von der D-Mark zum Euro
Erfahrungen von 1990

von Hubert J. Giess

Am 1. Januar 1999 soll es soweit sein: die Deutsche Mark verschwindet, der Euro kommt. Für die meisten Mitteldeutschen ist die Umstellung bereits der zweite Währungswechsel in nur zehn Jahren. Ältere Deutsche aus Ost und West können sogar noch auf zwei weitere Währungsreformen zurückblicken: 1923 und 1948, beide als Folgen der Weltkriege. Grund genug für den Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen zu untersuchen, wie die DDR-Bürger den Wechsel zur DM erlebten. Denn wie damals, so verspüren auch jetzt wieder viele Bürger Unsicherheit und Ungewißheit vor der Währungsumstellung. Die Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bewohner könnten da helfen, Fehlbehandlungen und Irrtümer zu vermeiden.

Am klügsten verhielt sich deshalb letztlich allemal noch, wer gar nichts tat und einfach abwartete. Wer dagegen sein Geld für langlebige Konsumgüter ausgab, mußte später oft einen schmerzlichen Vermögensverlust verkraften. Am Ärgsten wurden wohl jene gebeutelt, die ihr Geld kurz vor Toresschluß aus Angst vor einer Abwertung in einen "Trabbi" steckten – Preis damals: rund 9.000 DDR-Mark. Hätten die Trabbi-Käufer ihr Erspartes dagegen einfach auf dem Konto gelassen, hätten sie ein schönes Sümmchen Westgeld dafür bekommen. Und auch so mancher, der sich nach der Wende für billiges Geld sein Grundstück abschwätzen ließ, mußte einen Vermögensverlust hinnehmen. Doch es ging auch anders: Eine kapitalistische Ader hatte wohl jener DDR-Bürger, der nach der Wende GmbHs gleich im Dutzend gründete. Kosten: 500 Mark Ost. Nach der Umstellung verkaufte er die Firmenmäntel zu Westpreisen.

Manchmal freilich gab es auch Probleme ganz anderer Art. Da waren etwa jene Kleingewerbetreibende wie zum Beispiel Kneipiers, die fürchteten, sie könnten ihr zu Honecker-Zeiten angehäuftes Schwarzgeld nicht in DM "umrubeln". Sie wurden häufig leichte Beute beredter westlicher Vertreter. Andere schafften sich von dem Geld noch schnell neue Maschinen oder Ersatzteile an. Verunsichert waren auch viele Versicherte: Die einen zahlten ein, weil sie gehört hatten, Versicherungen würden zu einem günstigeren Kurs umgestellt. Andere, die das Gegenteil befürchteten, kündigten dagegen ihre Police. Dafür macht Thießen nicht zuletzt das lange Hin und Her über das "Wie" der Umstellung verantwortlich. Der Bürger reagiere auf aufgeschobene Entscheidungen mit Fluchtverhalten. Und das habe dann rein zufällig einige Menschen reicher gemacht, andere aber "echtes" Geld gekostet. Der Chemnitzer Bankenprofessor unterscheidet denn auch zwei Phasen mit ganz unterschiedlichem Verhalten: Phase I dauerte etwa von der Maueröffnung bis zum März/April 1990. Der Außenwert der DDR-Mark sank zeitweilig auf ein Vierzehntel der westdeutschen Währung. Die meisten Horrormeldungen und die damit verbundenen Panikkäufe von langlebigen Konsumgütern und Autos fielen in diese Zeit. In der anschließenden Phase II bis zur Umstellung beruhigte sich die Stimmung allmählich. Es wurde klar, schlechter als 1:5 würde der Umtauschkurs wohl nicht werden, die Angstkäufe ließen nach.

Thießen konnte die Menschen der DDR nach ihrem Verhalten vor der Währungsunion in drei Gruppen einteilen: Die konservativ Erfolgreichen, die Ängstlichen und die Coolen. Das Verhalten der konservativ Erfolgreichen, etwas die Hälfte der DDR-Bevölkerung: Ruhe bewahren und Däumchen drehen. Ganz anders die Ängstlichen: Sie kauften, was der Geldbeutel hergab. Sahen sie den Wertverlust der Konsumgüter nicht voraus? Die Motive lagen wohl in der Unsicherheit über die Zukunft der DDR. Bei Kursen von 1:14 war Angst um die Ersparnisse mehr als berechtigt. Die "Coolen" hingegen sahen die Währungsumstellung weitgehend nüchtern. Sie versuchten, sich zu informieren, erkannten aber schnell, daß niemand – die Medien eingeschlossen – wirklich etwas wußte. Sie ließen sich deshalb nicht verrückt machen. Dadurch entging ihnen zwar ein möglicher Gewinn, sie ersparten sich aber auch unnötige Sorgen. Dennoch: Zahlreiche DDR-Bürger haben bei Finanz-Transaktionen vor der Währungsunion viel Geld verloren. Sollten sich die Bürger Europas vor der Euro-Einführung ebenfalls zu größeren Vermögensumschichtungen hinreißen lassen, so Thießen, dann könnte es zu Verschiebungen von dramatischen Ausmaßen kommen.

Was läßt sich für den Euro daraus lernen? "Trotz einiger offener Fragen wird die Umstellung objektiv gesehen wohl kaum Probleme machen", ist Thießen überzeugt. Der Chemnitzer Wissenschaftler sieht die Schwierigkeiten eher auf der Gefühlsebene: Da sind die Sensationsberichte in den Medien, da ist das Gezänk der Politiker. Thießen rät deshalb, verängstigten Menschen solche Produkte anzubieten, die einen fühlbaren Nutzen bringen. Doch geeignete Produkte gibt es bisher nicht. Immerhin hält er etwa Eigentumswohnungen und Wohnrechte in Ferienanlagen oder für den kleineren Geldbeutel Bausparanlagen für durchaus geeignet, den Bürgern ihre Ängste zu nehmen – wären da nicht die Nebenkosten, etwa für Makler oder Notare. Allenfalls Vorauszahlungen auf Autos oder Möbel hält Thießen für relativ unproblematisch. Auf jeden Fall aber, so der Experte, solle der Bürger gegenüber allen Angeboten, die keine direkten Wertentwicklungen erkennen lassen, mißtrauisch sein: "Das Preis-/Leistungsverhältnis muß stimmen."

Wer den Verlust von Vermögen vermeiden wolle, solle die verfügbaren Informationen genau prüfen. Solange wichtige Entscheidungen noch gar nicht gefallen seien, beruhten diese nicht auf Fakten, sondern seien lediglich unbegründete Spekulationen. Vor allem solle man nicht davon ausgehen, daß andere wirklich besser informiert seien als man selbst, und nicht auf irgendwelche vermeintlich todsicheren Tips hereinfallen. Und er zitiert einen seiner Gesprächspartner: "Viele haben die Leute doch verrückt gemacht. Die wußten doch selbst nichts. Es wäre viel besser gewesen, die hätten gesagt, daß niemand was weiß."

Und noch etwas viel Thießen bei seiner Untersuchung auf, "eine Art Endzeitstimmung, etwa so wie die letzten Stunden vor Weihnachten" unmittelbar vor der Umstellung. "Da tritt dann eine gelöste Stimmung auf, in der man sich ganz ohne Hintergedanken den einen oder anderen langgehegten Wunsch erfüllt." Als Beispiel nennt er die junge Frau, die sich in den letzten Stunden, einfach so, eine Goldkette kaufte. Ein ähnliches Verhalten erwartet Thießen auch zum Ende der geliebten D-Mark .


 
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