© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Ethik: Landessynode Thüringen sorgt für Wirbel an der Uni Jena
Kampf um die Gentechnik

von Björn Hauptfleisch

Ein Beschluß auf der Frühjahrsta-gung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen sorgt für Wirbel. Auf Antrag des Jenaer Theologie-Professors Michael Trowitzsch haben die Synodalen einer weitgehenden Resolution gegen Gentechnik zugestimmt.

Darin heißt es: "Mit größter Besorgnis, was die neuesten Entwicklungen in der Gentechnik betrifft, wendet sich die Synode mit der Zumutung an den Gesetzgeber, weitere Forschung in diesem Bereich, insbesondere zum Verfahren des cloning von menschlichem Erbgut, einschränkungslos zu verbieten. Sie bittet alle irgendwie Beteiligten dringlich, sich an der entsprechenden Forschung nicht zu beteiligen und ihrem Fortgang, wo immer möglich, entgegenzutreten." Offensichtlich war der Entschluß unter dem Schock zustande gekommen, den das geklonte Schaf Dolly ausgelöst hatte. Das Vermengen einer bestimmten Arbeitstechnik – des Klonens – mit der Gentechnik in ihrer ganzen Vielfalt wurden dann auch von Genforschern heftig kritisiert. Die der Resolution beigefügten Begründungen waren ebenfalls nicht geeignet, die Gemüter zu beruhigen. Unter anderem heißt es dort: "Das Bedenken mangelnder Beherrschbarkeit verbindet sich mit der ebenso von der christlichen Einsicht in das Sündersein des Menschen sich unabweisbar nahelegenden Erwartung, daß die Möglichkeiten der Gentechnologie waffentechnisch genutzt werden. Wirtschaftlich-kommerzielle Interessen haben sich des ganzen Bereichs ja ohnehin schon bemächtigt. Auf ganz neuer Stufe – und ungleich gefährlicher als je zuvor – wird der Versuch des Menschen bzw. der einer wildgewordenen Wissenschaft deutlich, sich an die Stelle des Schöpfers zu setzen." Schließlich: "Die Zeit der im schlechten Sinne ausgewogenen Erklärungen ist vorbei."

Unter den Kollegen von Professor Trowitzsch löste die Erklärung einen Sturm der Entrüstung aus. Mit kaum unterdrückter Wut antwortete der Molekularbiologe Horst Malke in der Jenaer Universitätszeitung: "Die Initiative … ist eine Unverantwortlichkeit hohen Ausmaßes, die an finsterste mittelalterliche Zeiten kirchlicher Indoktrination und inkompetenter Einmischung in die Freiheit der Forschung erinnert. Auch die Synodalen verdanken die heute um 20 bis 30 Jahre durch die Jahrhunderte gestiegene Lebenserwartung selbstloser und hingabevoller biomedizinischer Forschung und fundamental wichtige moderne Erkenntnisse der Medizin der Anwendung der Gentechnologie. Offenbar haben sie nun 20 bis 30 Jahre länger Zeit, um sie zu diskreditieren."

Andere Wissenschaftler blieben bei ihren Erwiderungen sachlich. Sie wiesen insbesondere darauf hin, daß sich die Gentechnik – von vielen kaum bemerkt – in den letzten 20 Jahren in vielen Bereichen der Wissenschaft und der Medizin fest etabliert habe. Wer sich nun gegen die Gentechnik als Ganzes wende, werde im Endeffekt kaum etwas erreichen und jede Möglichkeit verlieren, steuernd bei bestimmten strittigen Fragen einzugreifen. Besorgt stellt sich Professor Bernd Wiederanders vom Institut für Biochemie die mögliche Wirkung der polemischen Resolution auf junge Leute vor: "Einer sieht am Eingang in der Kollegiengasse die Tafel mit der Bezeichnung ’Humangenetik’. Teufelswerk, sagt er sich, und: Das muß weg! Und schon fliegt am nächsten Tag ein Molotowcocktail in die genetische Beratung und vernichtet die Daten von Hunderten von Patienten, die ohne diese Beratung recht arm dran wären. Hirngespinste? Nein, fragen Sie in Göttingen, wie oft die Humangenetik in den letzten fünf Jahren gebrannt hat."

Professor Trowitzsch zeigte sich von solchen Vorwürfen und den für die Gentechnik vorgebrachten Argumenten wenig beeindruckt. In einem Antwortschreiben machte er den Gentechnikern den Vorwurf, ungerechtfertigterweise von oben herab zu argumentieren. Tatsächlich seien es aber nicht die Synodalen, die naturwissenschaftlichen Nachhilfeunterricht bräuchten. Vielmehr müßten den in ihrem Spezialwissen gefangenen Genetikern die Augen für weitergehende Zusammenhänge geöffnet werden. Auch könne der Nutzen der Gentechnik, der auch gar nicht angezweifelt werde, nicht die potentiellen Gefahren aufwiegen. Der erkennbare Nutzen mache die Gentechnik noch gefährlicher, da so die letzten Hemmungen vor allem beim medizinisch Machbaren verloren gingen.

Als Fazit bleibt, daß in diesem Disput zwei Anschauungen aufeinander getroffen sind, deren Träger sonst in weitgehend getrennten Welten leben. Und das, obwohl sie Tür an Tür wohnen und dem gleichen Berufsstand angehören.


 
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