© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Rühes Kapitulationskultur
Kommentar
von Hans Brandlberger

Besser als jede Imagekampagne dies je könnte, hat der Einsatz gegen die Oder-Fluten der Bundeswehr Pluspunkte im öffentlichen Ansehen gebracht. Doch der vollmundige Jubel auf der Hardthöhe darüber währte nur kurz. Drei von insgesamt über 130.000 Wehrpflichtigen reichten aus, um die Rückkehr zur Tagesordnung zu erzwingen: Zwei von ihnen zündeten, wie sie erklärten, mit einem ausländerfeindlichen Motiv, in Dresden eine Baracke an, die von italienischen Gastarbeitern als Unterkunft genutzt wird. Ein weiterer störte mit einer Bombendrohung Finanzminister Theo Waigel aus seiner Urlaubsruhe. Der Hintergrund ist diffus, Steuerrebellion dürfte es wohl nicht sein.

Da es sich um Angehörige der Streitkräfte handelt, hat die Bundeswehr diese Ereignisse auch intern zu würdigen. Rühe ist dies aber nicht genug. Zusätzlich zu den Unterrichtsstunden und Lehrmitteln über den Rechtsextremismus soll dafür gesorgt werden, daß im bestimmten Sinn auffällig gewordene Personen erst gar nicht zum Wehrdienst herangezogen würden. Leider böten polizeiliche Führungszeugnisse hierzu zu wenig Auskünfte, doch die Informationsbasis ließe sich sicher verbreitern.

Sonderlich durchdacht klingt dies nicht: Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert könnte es sich wieder persönlich auszahlen, ein Nazi zu sein. Sich zehn nutzlose Monate Bundeswehr zu ersparen, ohne deshalb gleich Zivildienst leisten zu müssen: Wenn das kein Anreiz ist, zum Rudolf-Heß-Gedenkmarsch zu fahren und ein paar verbotene Symbole zu zeigen! Doch dazu dürfte es nicht kommen, schon erste juristische Bedenken verweisen diese Idee in das Reich der Hitzefantasien. Doch Volker Rühe hat sich nicht nur einen Fauxpas geleistet, er hat vor allem ein Prinzip seiner Amtsführung vorgeführt: Wann immer die Bundeswehr ins Kreuzfeuer der Medien hineinzugeraten scheint, nimmt er die Ereignisse, die im ungünstigsten Fall eintreten könnten, vorweg. Ob es um "strittige" Kasernennamen geht, ob sich Ereignisse wie der "Videoskandal" in Hammelburg oder jetzt die Brandstiftung in Dresden zutragen: Die Hardthöhe macht sich die an ihr geübte Kritik zu eigen, oft bevor diese überhaupt formuliert werden konnte. Dies ist eine Methode, Diskussionen wenigstens abzukürzen, wenn man in ihnen denn schon nicht mehr bestehen kann. Doch es wäre falsch, hier einen pragmatischen Realismus, die bloße Einsicht in Machtverhältnisse zu vermuten, die halt nicht zu beeinflussen sind. Rühe hat vielmehr in seinem Ministerium Einstellungsmuster forciert, die sich verselbständigt haben: einen phlegmatischen Fatalismus, eine Art Kapitulationskultur – wenigstens der Öffentlichkeit gegenüber.


 
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