© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Kino: "Clubbed to death" von der Französin Yolande Zaubermann
Schneewittchen im Techno-Stil

von Claus-M. Wolfschlag

Vielleicht ist es ein Anzeichen für unsere schnellebige Welt der direkten Wege, daß Vorgeschichten nur noch marginale Bedeutung gegenüber der Haupthandlung besitzen. So erfährt der Kinobesucher nur wenig über die Protagonistin des Streifens, sondern findet sich mit dieser ausgesprochen schnell in einer Techno-Diskothek wieder. Beide bilden das Zentrum des Geschehens: Das Mädchen heißt Lola, ist zwanzig, trägt ein schwarzes Mini-Kleid. Trotz ihrer zahlreichen Liebhaber, von denen sie freimütig berichtet, wirkt sie unschuldig und rein, schneewittchenhaft, mit ihren weichen Zügen und dem langen schwarzen Haar. Lola (Elodie Bouchez) ist mehr ein Bedürfnis denn eine reale Person – zu schön, zu leicht eroberbar, zu willig und zu sehr "Jungfrau", wie sie tiefgründig behauptet, als daß sie der rauhen Wirklichkeit entsprungen sein könnte. Eines Nachts übermannt sie während einer Busfahrt der Schlaf, und als sie erwacht, befördert ein gestreßter Busfahrer sie hinaus. Da steht sie nun in der Dunkelheit, irgendwo in der unwirklichen Steppe einer Pariser Vorstadt, zwischen Abbruch-Wohnblocks und Gestrüpp. Ein Gammler nimmt sich der Verzweifelten an und begleitet sie in eine nahegelegene Diskothek: Eine in fahlem Licht schimmernde ausgediente Fabrikhalle, in der eine ausgelassene Partymenge zu schwungvollen Techno-Rhythmen bebt. Nach Einnahme einer Ecstasy-Pille gerät auch Lola in den Taumel. Sie lernt den Araber Emir, einen drogenabhängigen ehemaligen Boxer kennen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine bedeutsame Beziehung.

Yolande Zaubermann hat mit "Clubbed to death" (was etwa bedeutet: zu Tode getanzt) einen stilvollen Augenschmaus kreiert. Die mit eher wenig aktiver Handlung versehene Milieustudie wartet mit zahlreichen Farbfilteraufnahmen, Überbelichtungen, Zeitverzögerungssequenzen sowie einer exzellenten Auswahl von Musikeinlagen des House- und Soulbereichs auf.

Die Techno-Szene präsentiert sich als Endzeitszenario, in dem statt gestylter und damit entpersönlichter Techno-Kids dunkle Underground-Kleidung und Gestalten im Penner-Look dominieren, die ihre fragile Körperlichkeit nicht leugnen und schon damit aus der Anpassung fordernden "Welt" herausfallen. Das vorstädtische Party-Milieu wird hier fast ausschließlich von Schwarzen und Nordafrikanern beherrscht. Die düstere fanzösische House-Szene ist zum Unterschichten-Milieu mutiert.

Doch "Clubbed to death" ist mehr als eine künstlerisch überhöhte Milieubeschreibung. Der Film dreht sich auch um männliche Ablösungsprozesse. Emir trennt sich von seiner sich langsam im im Strudel der Techno- und Drogenexzesse verbrauchenden Frau Saida (Beatrice Dalle), um an der Seite des jungen Mädchens ein neues Leben beginnen zu können. Saida akzeptiert das mit Schmerz und Würde und lüftet den Schleier vor einer existentiellen Tragik: "Vor lauter Liebe gibt es mich nicht mehr, und wenn du mich nicht mehr liebst, gibt es mich auch nicht mehr." Emir überwindet Lola zuliebe seine Drogensucht und trennt sich in einem blutigen Boxkampf von seinem Bruder, durch den und mit dem er in ein schwer durchschaubares Netz von kriminellen Abhängigkeiten geraten ist: eine Initiation zum erlösten Sein, die ohne Gewalt und Schmerz nicht zu haben ist.


 
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