© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Ausländerrecht: Die überstrapazierte Solidargemeinschaft
Wo der Härtefall Normalfall wird

von Gerhard Sailer

Ausnahmen sind nur so lange Ausnahmen, wie sie – per definitionem – den Ausnahmefall darstellen. Wo die Ausnahme zur Regel wird, ist die Regel hinfällig geworden. Im Asyl- und Ausländerrecht sind wir bald so weit: Trotz geringer Anerkennungsquote bleiben die meisten "Anwärter" trotzdem hier, weil die "Abschiebungshindernisse" derart zahlreich sind, daß sich aus sozialen, gesundheitlichen und sonstigen Gründen fast immer ein "Schlupfloch" findet.

Ein illegal eingereister Ägypter ist schwerkrank, der medizinische Standard und die Heilungschancen in seinem Herkunftsland sind naturgemäß sehr bescheiden. Damit ist schon ein "Bleibrecht" fällig, um nicht die Genesung des Mannes zu gefährden. Bedarf dieser einer lebenslangen Therapie und ist diese daheim nicht gewährleistet, wird er auf Lebenszeit dem österreichischen Steuerzahler zur Last fallen.

Fall zwei: Ein mehrfach vorbestrafter libanesischer Drogenhändler soll endlich abgeschoben werden, hat aber Frau und Kind in Österreich. Letzteres besucht hier die Schule und gilt mithin als "integriert". Der gute Mann darf nach Strafverbüßung hierbleiben, da Frau und Kind sonst unversorgt zurückblieben und eine gleichzeitige Abschiebung der unschuldigen Familienangehörigen inhuman und damit unzulässig wäre.

Fall drei: Die "Bosnien-Kriegsflüchtlinge". Ihre Rückkehr soll nach dem Willen der Humanitäts-Bewegten erst dann in Frage kommen, wenn für sie daheim sichere Arbeitsplätze und Einkommen garantiert sind. Da die zweistelligen Arbeitslosenraten in allen Jugoslawien-Nachfolgestaaten mit Sicherheit noch Jahrzehnte Realität bleiben werden, kann eine Rückführung der Flüchtlinge trotz Frieden und Fehlen jeder Verfolgungsgefahr nach menschlichem Ermessen überhaupt nie erfolgen. Man stelle sich das ungeahnte Einwandererpotential vor, wenn die Konstituierung fehlender Arbeitsplatzchancen als Asylgrund zur generellen Regel erhoben würde …

Wenn man nun – wie Standard, News, Profil & Co. uns tagtäglich vor Augen führen – noch jene "Härtefälle" dazunimmt, wo Asylwerber für die Reise- bzw. "Schlepper"-Kosten die Ersparnisse ihrer gesamten Verwandtschaft zusammenkratzen und vielfach noch zusätzlich Schulden machen mußten, kommt man zum Ergebnis, daß eigentlich jeder (auch) wirtschaftlich motivierte Einwanderungswillige – und das sind fast alle! – einen sozialen "Härtefall" darstellt und somit in die Obsorge Österreichs zu nehmen wäre.

Aus dem Blickwinkel universeller Menschenliebe heraus ist jede auf eine abgeschlossene, territorial definierte Personengruppe ("Staatsangehörige", "Wohnhafte") beschränkte Fürsorgepflicht des Staates "menschenrechtswidrig", da sie automatisch "nicht Dazugehörige" und damit "Ausgegrenzte" definiert. Ganz konsequent und folgerichtig sind demnach auch die Anarcho–Parolen an Hauswänden à la: "Staatsbürgerschaft für niemanden" und "Grenzen auf für alle".

Was die linken "Humanitätsapostel" geflissentlich verschweigen, ist allerdings der "springende Punkt". Daß die klassische, territorial definierte "Rechts- und Anspruchsgemeinschaft" gleichzeitig auch eine "Pflichten- und Leistungsgemeinschaft" darstellt und daß nur die weitgehende Deckungsgleichheit von Verpflichteten- und Berechtigtengemeinschaft dem Gerechtigkeitsprinzip entspricht.

Wenn eine territorial abgegrenzte Gruppe gemeinsam Wirtschaftender einen gemeinsamen Topf füllt, auf den einer prinzipiell unbeschränkbaren Zahl von Menschen Zugriffsrechte mittels verschiedenster Anspruchstitel eingeräumt werden, hat die letzte Stunde des Nationalstaates als Solidargemeinschaft geschlagen, denn Solidarität ist nur bei "beschränkter Teilnehmerzahl" lebbar und finanziell leistbar.


 
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