© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Polizeiarbeit: William J. Bratton zu Gast bei der Gewerkaschaft der Polizei Berlin
Kompromißlos gegen Täter
von Kai Guleikoff

Mit 5.000 Dollar hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin einen Gastvortrag honoriert, den William J. Brattons, Chef einer privaten US-Sicherheitsfirma, am 27. August vor mehreren hundert Zuhörern von Polizei und Bundesgrenzschutz gehalten hat.

Bratton (49) war von Januar 1994 bis März 1996 Chef der New Yorker Polizei. In diesem Zeitraum gelangen ihm unglaublich erscheinende Erfolge in der Verbrechensbekämpfung der 7,5 Millionen Einwohner zählenden Metropole. Wie in vielen Großstädten der westlichen Welt herrschten auch in New York bürgerkriegsähnliche Zustände. Ganze Stadtteile entziehen sich der öffentlichen Ordnung und werden weitgehend "autonom". Durch Verlust von Arbeitsplätzen auf dem flachen Lande strömen immer mehr Entwurzelte in den Schwamm der Metropolen. Da es dort auch so gut wie keine bezahlte Beschäftigung gibt, hat die Beschaffungskriminalität Hochkonjunktur. So wie in der Außenpolitik das letzte Mittel Soldaten sind, wird bei Versagen der Innenpolitik im Sicherheitsbereich die Polizei massiert in Marsch gesetzt.

Bratton setzte die Aufstockung der New Yorker Polizei um 6.000 Einsatzkräfte durch. Mit 45.000 Polizisten in der Stadt wird jetzt eine Dichte von einem Polizisten auf 180 Bürger erreicht. Parallel dazu wurde die Einsatztaktik grundlegend verändert. Die Polizeiführer in den Abschnitten erhielten mehr Befugnisse und größere Entscheidungsfreiheit zugebilligt. Spezialisierungen wurden verringert und die Einsatzmöglichkeit des einzelnen Polizisten erweitert. Dadurch reduzieren sich die Wartezeiten bis zum Beginn der Einsatzhandlungen. Nach erfolgter Festnahme konnte auch ein Verbleib im Gewahrsam jederzeit gewährleistet werden. Haftrichter arbeiten ebenfalls im Schichtbetrieb.

Die Durchsetzungskraft der Einsatzkräfte ist durch eine verbesserte Ausrüstung und Bewaffnung erheblich gesteigert worden. Bei der Bekämpfung von Schwerstkriminalität wirken Land- und Lufteinsatzkräfte militärähnlich zusammen. Symbol dafür wurde der "finale Schuß" im Scheinwerferkegel des Hubschraubers. Diese gezeigte Härte wirkt abschreckend. Der Centralpark, New Yorks grüne Lunge, wurde "zurückerobert". Spaziergänger und Jogger sind nun auch bei Dunkelheit wieder anzutreffen. Die Mordrate sank um fast 60 Prozent innerhalb von nur sieben Jahren. Allerdings konnten bei der Aufklärungsquote von Straftaten nur minimale Zuwächse erreicht werden. Die Ursachen der Massenkriminalität sind mit Polizeimitteln nicht zu bekämpfen.

Das bekannte "Law-and-Order"-Prinzip wird dafür bei der Schadensbegrenzung kompromißlos durchgesetzt. Kleinste Gesetzesübertretungen werden bestraft: dem Falschparker wird nicht diskret ein Strafzettel hinter das Wischerblatt gesteckt, sondern er kommt erst einmal in Handschellen oder das Auto wandert auf die Ladefläche eines Tiefladers. Der anfängliche Mehraufwand zahlt sich später aus, die "Methoden sprechen sich herum". Erfolge machen neugierig und regen zur Nachahmung an. Für Bratton ein willkommenes Zubrot, tingelt er doch von Hauptstadt zu Hauptstadt mit der Botschaft "I want to talk about a revolution".

Die Berliner Veranstaltung war durchaus von gegenseitigem Interesse geprägt. Doch der Vergleich von Äpfeln und Birnen muß wieder einmal bemüht werden im Vergleich der doch unterschiedlichen Rechtssysteme. Obwohl Berlin mit einem Polizisten auf 128 Einwohner eine höhere Polizeidichte als New York aufweist, wird die Anwendung der Polizeigewalt durch Gesetze und Dienstvorschriften erheblich vermindert. Festgenommene müssen zum Beispiel freigelassen werden, weil der Haftrichter bereits "Feierabend" hat. Polizisten werden mit Berichteschreiben aus der Öffentlichkeit verbannt, und nach Einbruch der Dunkelheit sind Fußstreifen nicht mehr anzutreffen. Die Anwendung körperlicher Gewalt wird zur Existenzfrage des Polizisten, zumal in Situationen ohne entlastende Zeugen. In einem Staat, der seine Soldaten als "Mörder" kennzeichnen darf, ist der Wert eines Polizisten nicht weit davon entfernt. Wer erinnert sich nicht an die für die Einsatzkräfte entwürdigenden Stunden der "Chaostage" oder der Castor-Transporte. Kaum zu glauben ist die Tatsache, daß sich deutsche Polizisten teilweise selber ausrüsten müssen, um relativ unbeschadet den Einsatz überstehen zu können. Körperschutzwesten zum verdeckten Tragen unter der Einsatzkleidung kosten immerhin bis 900 DM, dazugehörige Stichschutzeinschübe bis 750 DM und Keramikeinschübe gegen Geschosse (je nach Schutzklasse) bis 600 DM. Wer sich beim Zugriff ordentliche Handschuhe leistet, zahlt noch einmal 200 DM drauf, und ordentliche Einsatzstiefel kosten um 300 DM. Lediglich Sondereinsatzkräfte sind derartig "grundausgestattet" und werden deshalb auch immer mehr eingesetzt. Diese als "Robocops" verunglimpften Polizisten stellen die ganze Misere defensiver Polizeitaktik dar. Aggressive Störergruppen sind daher immer noch im Vorteil. Seit Jahren wird der deutschen Polizei die Anwendung von Hartgummigeschossen verboten, die sich als sehr wirksam im Einsatz gegen Gewalttäter im Straßenkampf bewähren.

Umso höher ist die Dienstbereitschaft der Spezialkräfte zu bewerten, die zur Täterfeststellung das Herausholen per Hand praktizieren müssen. Aktueller Bezug dafür sind die Krawalle um die Potsdamer Hausbesetzerszene. Unter derartigen Bedingungen kann die Organisierte Kriminalität (OK) "blühende Landschaften" verzeichnen. Immer mehr bestimmt wird diese durch Ausländer, gemessen an deren Anteil innerhalb der Bevölkerung. Im Jahr 1996 waren nach offiziellen Angaben 28,3 Prozent aller Tatverdächtigten Ausländer, bei einem Bevölkerungsanteil von lediglich 8,9 Prozent. Bei den Straftätern aus 98 verschiedenen Nationen rangieren die Türken mit 21,8 Prozent und Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 14,1 Prozent an der Spitze der deutschen Kriminalstatistik, gefolgt von den Polen mit 8,3 Prozent. Diese traurige Bilanz hilfloser Politik ließe sich spaltenlang fortsetzen.

Grund zur Schadenfreude besteht keineswegs, denn täglich sind deutsche Staatsbürger und gutwillige ausländische Einwohner davon betroffen. Ein immer stärker werdendes Gefühl der Unsicherheit und auch der Wut auf derartige geduldete Zustände macht sich in Deutschland breit. Fragen der inneren Sicherheit bestimmen mehr und mehr das Fühlen der Menschen. Wer in Berlin, Hamburg, Frankfurt/M. oder München beispielsweise regelmäßig S- oder U-Bahn fährt, erkennt ein instinktmäßiges Sicherheitsverhalten der Fahrgäste. In verkehrsarmer Zeit drängen sich die Menschen im ersten Wagen und auf den Bahnsteigen in die Nähe der Aufsicht. BGS und zivile Sicherheitsdienste sind kaum anzutreffen; Nachtzuschläge werden gern eingespart. Ergebnis: Die private Aufrüstung der Bürger war noch nie in diesem Jahrhundert so ausgeprägt wie heute.


 
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