© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
"Berliner Zeitung": Anlauf zur Hauptstadtzeitung
Mit Klaus Schütz gen Westen
von Elvira Seidel

Seit vergangener Woche hat die Berliner Zeitung, füheres Berliner SED-Bezirksorgan mit Sitz in der Karl-Liebknecht-Straße (Ost) nicht bloß ein neues, frisches Layout, sondern auch einen "Ombudsmann", nämlich in der Person des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin (West), Klaus Schütz. Dessen Hauptfunktion dürfte weniger die Bearbeitung von Leseranliegen sein, als vielmehr die des Werbeträgers für die Zeitung, die nun zum Sturm auf West-Berlin und auf die dortige kleine, aber feine und darum für Werbekunden hochinteressante bildungsbürgerliche Leserschicht bläst. Keine Frage, die Berliner Zeitung und der hinter ihr stehende Gruner&Jahr-Konzern sind eisern entschlossen, die erste richtige Hauptstadtzeitung zu formen, die in Berlin den Trend angibt und nationale und internationale Ausstrahlung hat. Layoutwechsel und ein "Lesertag" am vergangenen Wochenende waren der definitive Startschuß zu diesem Kraftakt.

Schon seit längerem hat die Zeitung Edelfedern aus Frankfurt, München und Hamburg eingekauft. Das Ergebnis ist durchwachsen. Der Politikteil ist bislang ein Gemischtwarenladen aus Süddeutscher und taz, versetzt mit einem Schuß FAZ-Skepsis. Im Berlin-Teil sind noch einige Journalisten aus alten Tagen, die für Filzlatschenwärme sorgen, damit der Abonnentenstamm nicht abwandert. Sichtlich am erfolgreichsten ist der Feuilleton-Teil, wo viele frühere FAZ-Mitarbeiter die Richtung angeben. In der jüngsten, psychologisch außerordentlich wichtigen Wochenendbeilage brannten sie ein Feuerwerk ab, wie es selbst die Frankfurter kaum besser machen könnte. Der eingeschlagene Kurs ließe sich, über den Daumen gepeilt, mit: "Süddeutsche, aber nordöstlich, mit mehr Tempo und weniger Ideologie", beschreiben.

Leidtragender ist der Tagesspiegel, der bis 1989 die einzige relevante Zeitung West-Berlins war, die nicht aus dem Springer-Verlag kam (dessen Berliner Morgenpost und Welt im intellektuellen Diskurs Berlins heute keine erkennbare Rolle spielen). Zwar versuchte Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph eben noch unter Hinweis auf eigene Auflagensteigerungen (auf 132.000 Exemplare) Beruhigungstropfen zu verteilen, doch klang es wie das Pfeifen im Walde. Immerhin liegt die Berliner Morgenpost bei rund 180.000 und die Berliner Zeitung bei etwa 220.000 Exemplaren.


 
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