© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Christian Graf von Krockow: Vom lohnenden Leben und Weisheiten eines Snobisten
Die edle Ellenbogen-Gesellschaft
Rezension
von Karl-Heinz Jensen

Christian Graf von Krockow unterhält sein Publikum seit langem mit Büchern über große Männer und verlorene ostdeutsche Gebiete. Neuerdings macht er auch als Ratgeber-Autor auf sich aufmerksam. So legte er jüngst ein Buch vor, das schon im Titel erstaunt: "Vom lohnenden Leben". Ein Leben, das sich lohnt, also Vorteil oder Ertrag bringt, will der hinterpommersche Graf seiner Leserschaft nahebringen.

In siebzehn Kapiteln sammelt er die Erfahrungen seines siebzigjährigen Lebens, verbindet sie mit Weisheiten großer Namen und pflegt einen etwas onkelhaften Stil. Von der Neugier, über die Klugheit, die Zeit zum Spielen bis zum Gespräch unter Freunden und dem Abschiednehmen reicht die Palette seiner Themen. Vergeblich sucht der, welcher sich über – wohl aus der Mode gekommene – Tugenden wie Tapferkeit und Leidenschaft unterrichten will. Sie sind, wie der Autor im Nachwort mitteilt, obsolet geworden. Oder man kann, tritt die große Liebe oder ein anderes Unglück ein, dazu wenig Ratsames mitteilen. Daß Tapferkeit keinen Platz findet im bundesdeutschen Alltag, scheint strittig, wenn man unterTapferkeit mehr versteht als lediglich Mut im Gefecht. Verblüfft ist man jedoch über das, was der Autor zur Selbstlosigkeit zu sagen hat: "Hüte dich vor der Selbstlosigkeit. Denn sie wird dich zerstören." Diese gegen Erich Fromm und Ernst Jünger gezogene Schlußfolgerung, die vermutlich einer spätbundesdeutschen Erfahrung entspricht, verwundert und betrübt zugleich. Sie spiegelt das heutige Dilemma Deutschlands, in dem die Jungen darüber nachdenken, wie sie die Steuer umgehen und die Rentenzahlungen für die vorige Generation kürzen können. (Das muß besonders erschrecken, da gerade diese ältere Generation gebeutelt wurde wie keine andere: sie hat Krieg, Nachkrieg und im Osten sogar den Kommunismus ertragen und nebenbei gearbeitet, meist für einen Hungerlohn.)

Selbstlosigkeit ist also in dieser Gesellschaft ein Gift, in einer Gesellschaft, wo die Gesunden Wege suchen, sich aus der Solidargemeinschaft, zu der auch die Kranken und die Sozialhilfeempfänger zählen, hinauszustehlen.

Wer die deutsche Geschichte einigermaßen kennt, weiß, daß nur durch einen – zuweilen übermenschlichen – Altruismus der einfachen Bürger Staatskrisen größten Ausmaßes überwunden werden konnten. Und das soll nicht mehr zählen? Die Freude an der Uneigennützigkeit, an der Arbeit für andere ohne Eigeninteresse, ist das nur "Führerglaube", wie der Autor unter Verwendung des Hitlerschen "Aufopferungsgedankens" suggerieren will? Ist das Opfer für die eigene Familie, für die eigenen Eltern und Kinder oder für ein übergeordnetes Gemeinwohl wirklich eine lästige und zu vermeidende Torheit? Wer derart abfällig von der Selbstlosigkeit spricht, hat auch keinen Gedanken, geschweige denn ein Kapitel zum Thema "Verantwortung".

Es mag sein, daß dies dem Zustand der jetzigen Gesellschaft entspricht, in der die Schwachen immer stärker ausgegrenzt werden. In der die Verpflichtung, für andere, denen es schlechter geht, da zu sein, den Hauch von Dummheit und Lebensuntüchtigkeit besitzt. Andererseits: Eine Gesellschaft, die es nicht mehr fertigbringt, allen Gliedern ein zumindest von krasser Not befreites Leben zu ermöglichen, in dem der "Besserverdienende" mit dem Schlechtergestellten teilt – eine solche Gesellschaft wird nicht nur kälter, sie ist es nicht wert, sich zu erhalten. Mit einem Blick auf die aktuellen Geburten- und Arbeitslosenzahlen scheint sich – auch dem Grafen Krockow – dieser Eindruck aufzudrängen. Wer aber ein Interesse an seiner Heimat hat, wird dem Autor sein Verständnis in dieser Hinsicht verweigern und sich andere Werte holen müssen. Auf derlei "lohnende" Ratschläge darf getrost verzichtet werden.

Christian Graf von Krockow, Vom lohnenden Leben. Ein Wegweiser für jüngere und ältere Leute, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 237 S., 34 Mark


 
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