© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Globalisierung: Mögliche Gegenstrategien
Rote Kapitulation
Meinungsbeitrag von Erich Glück

Die Antwort auf die Frage, ob Thomas Klestil willens ist, als Kandidat für eine zweite Amtsperiode zur Verfügung zu stehen, hat der Regierungschef bereits vorweggenommen. Geht es nach ihm, bleibt über 1998 hinaus die K.&K. (Klestil-Klima)-Achse zwischen dem Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg und dem Ballhausplatz erhalten, weil diese in millimetergenauer politischer Abstimmung bis Brüssel führt. Schließlich übernimmt Österreich im nächsten Sommer erstmals den EU-Vorsitz, und da muß für Vik-tor & Co. das europolitische Klima stimmen. Klestil garantiert es. Er wird ein Jahr nach seinem fünfmonatigen krankheitsbedingten Ausfall allein schon aus EU-politischer Räson "wollen müssen". Da lassen in der heißen Euro-Phase die innerfraktionellen Störungsfronten aus dem älpischen Westen, ausgelöst von den gegen den Verzicht auf einen eigenen Kandidaten stürmisch protestierenden SP-Landesparteiobmännern Prock (Tirol) und Buchleitner (Salzburg), den Kanzler kalt. Die Basis nennt Klimas Koketterie mit Klestil sogar Kapitulation. Die Partei-"Infanterie" muß zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, daß sie gegen den von Brüssel mitdiktierten Parforceritt des großen Vorsitzenden chancenlos ist. In der Geschichte der Zweiten Republik blieb bisher die Nichtnominierung eines eigenen Kandidaten durch eine Großpartei dem derzeitigen Koalitionspartner vorbehalten, als die VP 1980 dem SPÖ-Kandidaten und MKV (=Mittelschüler Kartellverband)-Mitglied Rudolf Kirchschläger, Kreiskys Ex-Außenminister, ihren Sanctus gab. Der praktizierende Katholik und Konsenspolitiker Kirchschläger verdankte der stets beteuerten "Überparteilichkeit" zum Trotz primär Bruno Kreisky den Sprung auf die oberste Sprosse der Karriereleiter. 1945 erübrigte sich ein VP-Kandidat. Die Volkswahl für das höchste Amt im Staate existierte noch nicht. Karl Renner (SPÖ) wurde durch das Votum der Bundesversammlung erster Präsident der Zweiten Republik.

Das Argument von SP-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas "Österreich will keinen SPÖ-Präsidenten, sondern einen unabhängigen Staatsmann" hinkt. Die "roten" Präsidenten Karl Renner (1945-50), Theodor Körner (1951-57), Adolf Schärf (1957-65), Franz Jonas (1965-74) und Rudolf Kirchschläger (1974-86) sind der Stolz in der Chronik der österreichischen Sozialdemokratie nach 1945. Wie kann der Mann fürs Grobe aus der Wiener Löwelstraße behaupten, daß die Wähler keinen Sozialdemokraten wollen, wenn ihnen ein Kandidat vorenthalten wird ? – Wie "unabhängig" ist das amtierende Staatsoberhaupt ? Klestil war 1992 vom damaligen VP-Chef Erhard Busek nominiert worden, und die ÖVP, als deren Kandidat der amtierende Bundespräsident auch diesmal auftritt, finanzierte den Wahlkampf. Gleiches galt für Kurt Waldheim, letzter Außenminister der Alleinregierung Klaus (1968–70), den die ÖVP mit dem Prädikat "unabhängig" auf den Wahlplakaten erstmals im April 1971 gegen Jonas ins Rennen schickte. Als pensionierter UNO-Generalsekretär zog der "unabhängige" Waldheim nach übler Besudelungskampagne 1986 als erster "schwarzer Präsident" in die Hofburg ein. Im Proporzstaat Österreich ist das Etikett "unabhängig" für einen Präsidentschaftsanwärter eine sehr delikate Angelegenheit. Obwohl von der ÖVP Julius Raabs und der FPÖ Anton Reinthallers nominiert, betonte Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Denk im Frühjahr 1957 bei seinem ersten Auftritt im damals noch in den Kinderschuhen steckenden Fernsehen wiederholt seine Parteiunabhängigkeit. 51 Prozent der Österreicher wählten jedoch am 5. Mai 1957 den sozialistischen Parteivorsitzenden, Vizekanzler Adolf Schärf. Die Gleichgewichtsparole der 50er und 60er Jahre (schwarzer Kanzler, roter Präsident) gab den Ausschlag zugunsten Schärfs.

Sie wurde von Kreisky 1974 im Wahlkampf für Kirchschläger mit einem saloppen "diese Parole ist ein Stück unbrauchbar gewordener Vergangenheit und zählt deshalb nicht mehr" über Bord geworfen. Er wußte, wovon er sprach. Schließlich war es Franz Jonas, sein Parteigenosse und Kampfgefährte gegen den austrofaschistischen Ständestaat der Ersten Republik gewesen, der mit präsidialer Befugnis Kreiskys Minderheitsregierung 1970 ohne mit der Wimper zu zucken abgesegnet hatte und damit die proporzgerechte Machtverteilung total aus dem Gleichgewicht geraten ließ.

Alfons Gorbach, 1964 von Josef Klaus als Bundeskanzler abgehalftert und von diesem nach Schärfs Tod zum Präsidentschaftskandidaten gekürt, zog vor dem Wahltag, dem 23. Mai 1965, mit der Devise "Das Staatsoberhaupt darf nicht schwarz sein, darf nicht rot sein. Es muß rot-weiß-rot sein" durch die Lande. 33 Jahre später, bei der 98er Wahl, werden bedingt durch die radikale europapolitische "Klima"-Veränderung die Farben rot-weiß-rot nur noch eine Sekundärrolle spielen.

Wer über die Scheuklappen tagespolitischer Engstirnigkeiten hinaus auf den Zeithorizont blickt, erkennt, daß sich der Bundesadler mit dem Symbol der gesprengten Kette sehr blaß im Schatten der blauen
Flagge mit den 15 goldenen Sternen ausnimmt.


 
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