© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Entscheidung an der Alster: Hamburg-Wahl als Mentekel für Bonn
Die große Zitterpartie
von Martin Otto

Hamburg wählt. Am Sonntag sind rund 1,2 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, für die kommenden vier Jahre ein neues Landesparlament zu wählen, die Hamburger Bürgerschaft.

Die Wähler im Norden statten seit Jahrzehnten eine ganz dem engen Verhältnis von Staat und Wirtschaft verpflichtete SPD mit recht komfortablen Mehrheiten aus; Koalitionsregierungen werden mit bürgerlichen Partnern geschlossen, gewagte Politexperimente, sieht man von einem gescheiterten Diätenversuch der Volksvertreter ab, bleiben meist aus. Einiges spricht dafür, daß nach dem Wahltag diese Kontinuität nicht abreißt.

Dennoch können sich die Hamburger Wähler der ungeteilten Aufmerksamkeit bundesweit sicher sein. Die letzten Landtagswahlen liegen über ein Jahr zurück, die Bundestagswahl 1998 rückt immer näher. Wahlen, die als Stimmungsbarometer gelten könnten, blieben jedoch bislang aus. Zu viel hat sich seit den letzten Landtagswahlen verändert. Damals war die SPD auf dem Tiefpunkt ihrer Führungslosigkeit und mußte in allen Ländern Stimmenverluste einstecken, die sie in Baden-Württemberg aus der Regierungsverantwortung katapultierte. Heute hat sich das Erscheinungsbild der deutschen Sozialdemokratie leicht verbessert – jedenfalls im Verhältnis zu einer immer verbrauchter wirkenden Bundesregierung.

Ganz anders sah die Welt zur Hamburg-Wahl 1993 aus. Die SPD hatte eine absolute Mehrheit verloren, die Grünen deutlich zugelegt. Die CDU, von den Hamburger Verfassungsrichtern undemokratischer Machenschaften geziehen, erzielte herbe Verluste und landete im 25-Prozent-Bereich. Die FDP, immerhin bis 1991 im Senat vertreten, flog aus dem Parlament, die Statt-Partei des CDU-Dissidenten Wegner zog spektakulär in die Bürgerschaft ein.

Die Senatsbildung verlief nicht ohne Ironie; die Statt-Partei, angetreten gegen hanseatischen Filz, bildete mit der zur Hamburger Verwaltung in einem ganz besonderen Verhältnis stehenden SPD einen Senat und konnte sich als bislang einzigen Erfolg der kurzen Parteigeschichte das Verhindern einer rot-grünen Koalition auf die Fahne schreiben. Ansonsten machte die Statt-Partei nur durch innere Querelen von sich reden. Die CDU, der große Verlierer der letzten Wahl, kann am wahrscheinlichsten mit Gewinnen rechnen; einer der wenigen Vorteile eines niedrigen Ausgangsniveaus. Die FDP kämpft um den Einzug in die Bürgerschaft, ebenso die Republikaner, die diesen 1993 mit 4,8 Prozent nur knapp verfehlten. Neben den Republikanern kämpfen vor allem der Bund Freier Bürger (BFB) von Maastricht-Kläger Manfred Brunner und die Deutsche Volksunion (DVU) des millionenschweren Münchner Verlegers Gerhard Frey um Proteststimmen (siehe Kommentar auf Seite 2).

In ihrem Wahlkampf setzen die Sozialdemokraten, die die Hafenstraße legalisierten, auf das Thema "Öffentliche Sicherheit". In einer Direktwahl, so heißt es, würden sich die Hamburger mit großer Mehrheit für ihren Bürgermeister Voscherau entscheiden, gerade weil er mit einem sozialdemokratischen Studienrat oder Gewerkschaftsfunktionär so wenig gemein hat. Über seine Partei sagt das wenig. In den achtziger Jahren galten Hamburger Verhältnisse als Inbegriff unklarer politischer Mehrheiten. Vielleicht steht der Stadt demnächst eine Neuauflage solcher Verhältnisse bevor.

Mehr zu diesem Thema auf Seite 4


 
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