© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Investitionsflucht
Kommentar von Bernd-Thomas Ramb

Wir leben in einem kapitalhungrigen Produktionszeitalter. Mehr und mehr wird die menschliche Arbeitskraft durch Produktionsautomaten, Datenverarbeitungsanlagen und elektronische Leitungsnetze ersetzt. Die Wahl des Investitionsstandortes entscheidet deshalb mit überproportionaler Auswirkung über das Ausmaß der damit noch verbundenen Beschäftigung. Diese Entwicklung gilt ebenso weltweit wie unausweichlich und der Standort Deutschland spielt dabei eine immer kleinere Rolle.

Während die deutschen Unternehmen dem Globalisierungstrend durch eine kräftige Aufstockung ihrer ausländischen Investitionen folgen, zeigt das Ausland dem deutschen Investitionsstandort die kalte Schulter. Seit Mitte der achtziger Jahre hat das Volumen der deutschen Direktinvestitionen stetig zugenommen. Gegenüber 1989 (27 Milliarden DM ) wird sich in diesem Jahr der Investitionsbetrag auf 54 Milliarden verdoppeln. Die ausländischen Investoren reduzieren dagegen nicht nur ihre deutschen Investitionen, sie ziehen mittlerweile sogar Investitionskapital aus Deutschland ab.1989 investierte das Ausland immerhin noch 13 Milliarden DM in Deutschland.

Seitdem lagen die Investitionsbeträge (bis auf ein Zwischenhoch im Jahre 1995) nur noch im unteren einstelligen Bereich. Im vergangenen Jahre kippte der Kapitalstrom sogar um. Mehr als vier Milliarden DM Nettoinvestitionskapital wurde von den Ausländern aus Deutschland abgezogen, indem 6 Milliarden DM Gewinn nicht wieder investiert wurde. Im Jahr 1994 betrug der Gewinnabfluß in das Ausland sogar 10 Milliarden , war aber durch gleichzeitige höhere Neuzuflüsse mehr als abgedeckt. Die Fluchtbilanz der Investitionen ist dagegen seit 1989 eindeutig ansteigend. Das Saldo zwischen den deutschen Auslandsinvestitionen und den ausländischen Deutschlandinvestitionen stieg seit der Vereinigung von 14 auf in diesem Jahr geschätzte 54 Milliarden DM. Auch das Investitionsvakuum Ex-DDR hat sich als für ausländische Investoren inattraktiv herausgestellt.

Die Ursachenanalyse der deutschen Kapitalverschiebung offenbart nicht nur die bekannten Kostennachteile im Lohnbereich. Die hohen deutschen Lohnkosten – nicht zu verwechseln mit den effektiv an die Beschäftigten ausgezahlten Löhnen, die fast nur noch die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen – verstärken die ohnehin vorhandenen Bemühungen um ausländische Präsenz. Die fehlende Potenz der Bonner Parteien, die Lohnnebenkosten zu senken, korrespondiert mit deren Unfähigkeit und Unwilligkeit, verstaubte Verordnungen und lähmende Regulierungen zu beseitigen. Statt dessen hoffen alle auf die "Wunderwaffe Euro". Die unwirtschaftliche Zwangswährung wird jedoch die Kapitalflucht nur noch beschleunigen.


 
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