© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Hamburg vor der Wahl: Eine "Anarchistische Pogo Partei Deutschlands" setzt neue Maßstäbe
"Freibier durch die APPD"
von Hanno Borchert

"Saufen, Saufen! Jeden Tag nur Saufen!" Schockeffekte sind eingeplant bei der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands (APPD), die derzeit mit Hardcore-Parolen "frischen Wind" in den schlappen Hamburger Wahlkampf bringt: "Arbeit ist Scheiße!" und "Asoziale an die Macht!", schreit es den irritierten Hamburger Bürgern von den schwarz-weißen Plakaten in fetter Fraktur entgegen.

Aber wer sind eigentlich die Asozialen in unserem Lande? Diejenigen, deren primäres Ziel nicht die Schaffung von Werten und Gütern ist, weil ihnen das "Sein" mehr wert ist? Oder diejenigen, die kaum mehr eine Chance haben, an der Schaffung von Werten und Gütern teilzuhaben, weil sie ihren Job verloren haben? Oder etwa die Technokraten und Wachstumsfetischisten in ihren Glaspalästen, die besessen sind vom Shareholder Value-Gedanken? Wertsteigerung als alleiniger Maßstab, Negierung des Faktors Mensch, Ausrichtung an Interessen von Großbanken, Investoren und Aktionären…

Die Plakate, Shirts, Programme, Flyer und Aufkleber der APPD sind eine faszinierend überdrehte graphische Nazi-Karikatur mit entsprechenden Assoziationen. Der Satz "Gebt uns 100 Tage Zeit", mit dem ihr "Regierungsprogramm" (u. a. Recht auf Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich, Einführung der Jugendrente, Abschaffung der Altersrente) überschrieben ist, könnte vom Ex-SDSler und heutigen Nationalmarxisten Reinhold Oberlercher stammen. Für die nötige Aufmerksamkeit ist also gesorgt. Die Leute bleiben vor den Plakaten stehen, und die bürgerliche Presse jeder Couleur füllt begierig ihre Spalten.

Vor den Plakaten der anderen 23 zur Wahl angetretenen Parteien bleibt höchstens mal ein Hund stehen, um sein Bein zu heben. Doch wen wundert’s? Die nötigen 500 Unterschriften, um überhaupt am Urnengang teilnehmen zu können, rekrutieren sich überwiegend aus undogmatisch linken Kreisen wie zum Beispiel der Punkerszene. Doch im Gegensatz zu den spaßfreien Dogmatikern aus der West-PDS/Linken Liste im Stil des alten KB und den "grünen" Systembastlern um Krista Sager machen sich die APPDler, ebenso wie die Punks am Spritzenplatz in Hamburg-Altona, keine allzu großen Illusionen. Doch hören wir selbst:

"Freibier durch APPD! – Die einzige Partei, bei der Sie Ihre Stimme öffentlich austrinken und wegwerfen können! Übrig bleibt ein Berg aus Müll und Schrott! Gibt es ein besseres Symbol für das, was von dieser Wahl zu erwarten ist?"

Wohl kaum, meint manch einer schmunzelnd und ertappt sich in solidarischer Haltung, denkt er an das tägliche Wahlkampfgesülze. Und weiter: "Verhindern Sie, daß die etablierten Parteien Ihr Geld sinnlos verknallen, sondern tun Sie das einfach selbst – INDEM SIE APPD WÄHLEN! Bei Erreichen von 1% der Wählerstimmen erhält die APPD Wahlkampfkostenhilfe von 10.000 Mark. Dieses Geld werden wir restlos in eine Freibierfete stecken. Nach der Wahl sind Sie dann herzlich eingeladen, Ihre Stimme zusammen mit uns zu versaufen!"

Dieses Wahlversprechen hat Hand und Fuß oder besser Hopfen und Malz und ist allemal ehrlicher und schmackhafter als das der meisten anderen Parteien.

Wer richtig hinschaut, merkt, daß hier weder Nazis noch Marxisten am Werk sind, sondern einfach ein paar etwas irre Typen, die gerne Bier trinken und die die Schwächen des politischen Systems phantasievoll vorführen. Denn wenn das hybride System von Markt und Staat nicht in der Lage ist, Millionen von Menschen gesellschaftlich zu integrieren, dann muß es aufhören, die totale Form der Gesellschaft zu sein. Nicht umsonst werden immer mehr Stimmen laut, die nach anderen Formen der Reproduktion jenseits von Markt und Staat fragen. Und wer sagt denn, daß die Alternative eine kommerzielle sein muß? In diesem Sinne dürfte dann auch die Parole "Arbeit ist Scheiße!" zu verstehen sein. Es geht nicht darum, daß Arbeit grundsätzlich abgelehnt wird. Frage ist: Kann und will ich meine Arbeitskraft bedingungslos an jeden verkaufen? Wem kommt sie zugute und wem schade ich damit? Gerade in der Krise muß sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik an den sozial Schwächeren orientieren. Als Partei des "Pöbels und der Schmarotzer" möchte die APPD "dieser bislang ausgegrenzten Bevölkerungsschicht Stimme und Gewicht im Parlament verleihen." Auch wenn sich die APPD nicht als klassische Volkspartei versteht, ist ihr Eintreten für die Belange derer, die durch den sozialen Rost "Großwestdeutschlands" gefallen sind, ein geradezu volksrevolutionäres Anliegen. Vielleicht dürfen wir wegen der vielen Hamburger Freibierfreunde die unterhaltsame Politclownerie mit einem Schuß Sarkasmus bald in der Hamburger Bürgerschaft erleben. Prosit!


 
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