© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Sozialismus hat Zukunft
Kommentar von Jürgen Hatzenbichler

Real ist die Existenz des Sozialismus ziemlich verblaßt. Von einer Idee, die einst die Welt bewegte, sind vielfach nur noch Fetzen übriggeblieben, die als sozialutopische Ressentiments "aufgeklärter" Intellektueller abgespielt werden. Auch die Leute, die den Sozialismus einst im Namen führt, sich dann aber darauf besannen, daß sie ja eher soziale Demokraten wären, haben längst dem abgeschworen, was einst ihre Bewegung notwendig machte. Im Gegenteil: Die Machtteilhabe führte dazu, daß die sozialdemokratischen Eliten eine neoliberale Politik machen müssen, deren Eckpunkte Sozialabbau und Privatisierung sind.

Diese Entwicklung kann aber ganz gegensätzliche Folgen zeitigen: Einerseits steht mehr Freiheit am Angebot, andererseits aber mehr Elend. Deregulierung mag in unserer Gesellschaft notwendig sein, jede Verschiebung im sozialpolitischen Gefüge wird aber als Anti-Egalisierung ähnliche Folgen zeitigen, wie man sie früher einmal als Klassen-Antagonismen bezeichnet hat. Das passiert dann unter einem gängigen Schlagwort: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Kapitalakkumulierung bei den Konzernen und verstärkte soziale Unsicherheit bei der Masse des Volkes sind Tendenzen, die sich fortsetzen. Das allerdings vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die durch eine radikale Individualisierung gekennzeichnet ist, in der die Bande der Solidarität immer schwächer werden, während die Ego-Interessen die Ellenbogen wichtiger werden lassen.

Hier wird die Frage nach der politischen Steuerung der Ereignisse vakant. Wenn soziale – oder verwenden wir ruhig den Begriff "sozialistische" – Ideen wiederum aktuell werden, dann freilich sicher nicht im alten Sinne. Die "Vorhut des Proletariats" hat als solche ausgedient, weil es trotz der aktuellen Entwicklungen kein Proletariat gibt, weil das, was sich als linke Avantgarde postuliert hat, längst zum Ewiggestrigen von vorgestern geworden ist. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks sind die Ideen eines "real existierenden Sozialismus" als widersinniger Irrweg entlarvt worden. Von Interesse bleiben aber bestimmte Arten der Kapitalismusanalyse, die in ihrer Schärfe erhellend sind, die jedoch mit auf eine neue Basis gestellt werden müßten.

Denn immerhin erleben wir in der Gesellschaft eine totale Verschiebung des politischen Spektrums. Wenn eben Sozialdemokraten "rechte" und Konservative ebenso neo-liberale Politik machen, werden politische Alternativen notwendig. Eine Politik "jenseits von links und rechts" wird dem Sozialismus wieder Zukunft geben müssen. Allerdings nicht nur mit einem menschlichen, sondern mit einem gänzlich neuen Antlitz.


 
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