© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Frankreich: Die bürgerliche Rechte ist ohne Chance
Die Erben de Gaulles
Meinungsbeitrag von Alain De Benoist

Hundert Tage, nachdem der sozialistische französische Premierminister Lionel Jospin im Amt ist, titelte die Tageszeitung Le Monde: "Die Rechte fürchtet, auf lange Zeit zur Opposition verdammt zu sein." Ohne größere Fehler der Linken, die man ja nie ganz ausschließen kann, weiß man in der Tat nicht, wie die klassische Rechte in absehbarer Zeit wieder an die Macht kommen könnte. Und das aus zwei Gründen. Der erste ist rein arithmetischer Art: Mit einem Front National bei 15 Prozent hat die bürgerliche Rechte keinerlei Chancen mehr, die Mehrheit zu erhalten, genauso wie die Sozialisten keine zu der Zeit besaßen, als sie sich noch weigerten, sich mit den Kommunisten zu verbünden. Der gaullistische RPR und die liberale UDF wissen das sehr gut. Aber da sie nun einmal beschlossen haben, sich selbst einer Möglichkeit zu berauben und Einschüchterungen und diabolisierenden Schlagworten der von den Linken übernommenen Medien nachgeben, ist eine Allianz zwischen ihnen und der Partei Le Pens wohl ausgeschlossen. Einige argumentieren, daß in einem solchen Fall RPR und UDF mehr in der Mitte verlieren würden als sie auf der rechten Seite gewönnen. Das bliebe zu beweisen. Zur Zeit ist die bürgerliche Rechte jedenfalls mit nur 35 Prozent hoffnungslos in der Minderheit, und das wird auch so bleiben.

Der zweite Grund ist weniger wahrnehmbar, aber dafür wesentlich ernster. UDF und RPR haben ganz einfach nichts mehr zu sagen oder vorzuschlagen. In der Vergangenheit profitierte die Rechte von drei großen Trümpfen. Der eine war die Angst vor dem Kommunismus. Die anderen beiden waren die Kompetenz in Sachen Wirtschaft und Landesverteidigung, die der Rechten zugeschrieben wurden. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems und die Versöhnung der Linken mit der Logik des Marktes haben die ersten beiden Trümpfe zunichte gemacht. Die Linke behauptet heute im wesentlichen nicht mehr, die Gesellschaft verändern zu wollen. Sie will den Kapitalismus nicht mehr abschaffen, sondern sich in ihm einrichten. Sozialdemokratisch geworden, weiß sie sich als ein guter, wenn nicht sogar als der bessere Verwalter als die Rechten darzustellen. Und Fakt ist, daß sie es tatsächlich nicht wesentlich schlechter macht, da die Politik beider sich kaum mehr voneinander unterscheidet. Was die Landesverteidigung angeht, hat die bürgerliche Rechte ihrer Kompetenz schon vor einiger Zeit entsagt, als sie eine Fahne mit Füßen trat, die der FN eifrigst vom Boden aufhob. Angesichts einer Linken, die keine Angst mehr verursacht, der überall die selbe politische Kompetenz eingeräumt wird und die im allgemeinen auch noch auf sozialem Gebiet als wesentlich "großzügiger" eingestuft wird, hat die bürgerliche Rechte keinerlei eigenes Terrain mehr. Sie bietet keine wirkliche politische Alternative mehr. Und wenn sie davon redet, daß sie ihre "Werte wiederfinden" will, dann, um sich zu einem Ultraliberalismus zu bekennen, den die Franzosen nicht wollen.

Um das ganze Ausmaß dieser Entwicklung zu begreifen, muß man sich noch einmal die Wahl von Valéry Giscard d’Estaing 1974 vor Augen halten. Giscard hatte damals das Ziel einer "liberalen Modernisierung" der französischen Politik. Dieses Projekt wurde aufgenommen und weiterverfolgt von François Mitterand. Sein Hauptcharakteristikum war, dem Staat eine Aufgabe zu geben, nicht mehr die, ihn zu leiten, sondern die, sich anzupassen an eine Entwicklung des Zeitgeistes der Gesellschaft, was dazu führte, daß mehr und mehr die Sphäre des Politischen zugunsten der der Wirtschaft verlassen wurde. Wie die frühere Vertraute des Präsidenten Georges Pompidou es einmal treffend ausdrückte: "Der Liberalismus ist Träger keiner einzigen politischen Transzendenz. Er kann sehr wohl die Wirtschaft inspirieren, aber in keinem Fall den Platz einer Regierung ganz ausfüllen." Trotzdem hat man gerade das getan. Die bürgerliche Rechte begann zunächst, sich kulturell an die Linke anzupassen. Sie hat sich dann bei einer Entwicklung engagiert, die in das Maastricht-Europa eingemündet ist, das heißt an einem ausschließlich ökonomischen Projekt. Sie war der Generator unerträglicher sozialer Einschränkungen und das, was sich bald herausstellte, nicht nur als Gegner nationaler Souveränitäten, sondern vielmehr als Gegner jeder Souveränität überhaupt. Schließlich, seit 1981, unter dem Einfluß einer Menschenrechts-Ideologie, begann sie zu glauben, zunächst auf dem Gebiet der Außenpolitik, dann auch auf anderen Gebieten, daß man politisch allen gefallen könne.Jede Partei ist aber dazu verdammt, Freunde und Feinde zu haben. Frau Garaud hat nicht ohne Grausamkeit gesagt: "Wenn man seine eigene Persönlichkeit aufgibt, hat man möglicherweise weniger Feinde, aber man ist auch für niemanden mehr interessant."

Der Front National hat sich der nationalen Thematik aus dem Nachlaß der Gaullisten bemächtigt. Mehr noch: Das Anwachsen des FN vor dem Hintergrund von Masseneinwanderung und Arbeitslosigkeit erklärt sich vor allem aus dem Zusammenbruch einer bügerlichen Rechten, die ihre eigenen politischen Bezugspunkte aufgegeben hat, um sich jenen der Linken anzuschließen. Sie ist sozialdemokratisch durch Anpassung geworden.


 
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