© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Belgien: Vlaams Blok-Abgeordneter Francis Van den Eynde zum Widerstand der Flamen
"Wir hoffen auf Deutschland"
Interview mit Van den Eynde, Fragen: Dieter Stein

Herr Van den Eynde, es gibt eine Menge Flamen, die durchaus für den Euro plädieren. Wie ist die Haltung des Vlaams Blok in dieser Frage?

Van den Eynde: Wir sind dagegen, da für unsere Wirtschaft die kleinen Unternehmen sehr wichtig sind. Die Wirtschaft Flanderns gründet sich auf kleine Unternehmen. Und unserer Meinung nach ist der Euro der Tod der Kleinunternehmer. Wir sind auch politisch gegen die heutige Europapolitik, da wir das Wahlrecht für Nichtflamen in Flandern ablehnen und durch den Status Brüssels als Hauptstadt Europas viele Nichtflamen zuwandern. Es gibt schon in einigen flämischen Gemeinden in der Nähe von Brüssel eine französische Mehrheit, so daß die Wähler französischer Parteien zugenommen haben.

Wird die Einführung des Euro in Belgien überhaupt ernsthaft diskutiert, in dem Sinne, daß eine Ablehnung noch möglich ist?

Van den Eynde: Nein. Wir hoffen aber, daß Deutschland und andere große europäische Länder letzten Endes gegen den Euro sein werden. Wir sind nicht stark genug, um Widerstand zu leisten. Das ist das Problem. Die Möglichkeit eines Referendums wird bei uns nicht zu realisieren sein.

Und es gibt keine Wahlen vorher?

Van den Eynde: Nein, auch nicht. Und die Regierung hat immer versucht, die Diskussion zu vermeiden. Zwar gab es im Parlament eine vier Tage lange Diskussion. Den Leuten auf der Straße wurde aber trotzdem nicht klar, welche Bedeutung Maastricht für sie haben wird. Ein Referendum wie in Frankreich hat es nicht gegeben und auch keine öffentliche Diskussion. Das war alles nur Regierungspropaganda, aber keine echte Diskussion. Deshalb hoffen wir auf einen Stimmungswandel in Deutschland.

Sind die großen Parteien alle für den Euro?

Van den Eynde: Die sind alle für den Euro. Die einzigen, die gegen den Euro sind, sind die Grünen und der Vlaams Blok. Die flämisch-nationalen Parteien, auch die auf der linken, äußern sich jedoch nicht offen dagegen.

Gibt es in keiner großen belgischen Zeitung eine Diskussion über die wirtschaftlichen Folgen der Währungsunion?

Van den Eynde: Das ist kaum möglich, denn die Zeitungen, das Fernsehen und die Radiosender sind bei uns alle systemtreu. Alle!

Wie stark finden bei Ihnen in der belgischen Öffentlichkeit die maastrichtkritischen Tendenzen in Deutschland Beachtung?

Van den Eynde: Viele Leute verfolgen die Diskussionen in Deutschland und sprechen darüber – auch außerhalb des Vlaams Blok. Auch in den Zeitungen und im Fernsehen hört man regelmäßig, daß es in Deutschland sehr viele kritische Stimmen gibt. Aber für Flandern ist eine solche Diskussion undenkbar. Wir versuchen zwar, die Diskussion in Gang zu bringen, aber der Vlaams Blok ist dazu zu isoliert. Unsere Partei wird aus der Debatte herausgehalten. Andere flämische politische Organisationen haben es da einfacher. Aber die geben natürlich keine politischen Impulse.

Ihre Partei liegt bei Umfragen bei 15 Prozent?

Van den Eynde: In Antwerpen sind wir die größte Partei, da sind es sogar 30 Prozent.

Wie könnten Sie aus der bestehenden Isolation ausbrechen und größer werden?

Van den Eynde: In Antwerpen wollen wir versuchen, bei der nächsten Wahl so stark zu werden, daß man an uns nicht mehr vorbeikommt und der Vlaams Blok den Bürgermeister stellen wird. Wir sind mit 30 Prozent bereits die stärkste Partei, die Liberalen haben 12 Prozent, die Christdemokraten 15 Prozent und die Sozialisten 16 Prozent. Gleiches versuchen wir in Brüssel. Aber das ist natürlich etwas komplizierter. Die Flamen sind in Brüssel in der Minderheit, deshalb ist der Vlaams Blok nur die zweitstärkste Partei. Um in Brüssel stärkste Partei werden zu können, machen wir dort jetzt eine zweisprachige Propaganda mit den Themen Ausländerproblem und Kriminalität. Wir sagen: Wer gegen Kriminalität ist, darf nicht den Front National Belgiens, sondern muß den Vlaams Blok wählen. Dazu muß man wissen, daß die meisten Französich Sprechenden in Brüssel einen flämischen Hintergrund und flämische Namen haben und nach Brüssel gekommen sind, um zu arbeiten. Und dazu war notwendig, daß sie die französische Sprache beherrschten.

Was ist Ihr Konzept in der Ausländerpolitik?

Van den Eynde: Wir wollen die große Mehrheit der nichteuropäischen Gastarbeiter wieder zurück nach Hause schicken.

Wie soll das praktisch aussehen?

Van den Eynde: Praktisch soll das ganz im Rahmen von Verträgen mit den Urspungsländern der Gastarbeiter geschehen, so zum Beispiel mit Marokko.

Um wie viele Gastarbeiter handelt es sich?

Van den Eynde: Schätzungweise 350.000 bis 500.000.

In Deutschland bereitet selbst das Abschieben abgelehnter Asylbewerber Schwierigkeiten. Meinen Sie, eine solche Politik läßt sich durchsetzen?

Van den Eynde: Zuerst einmal sollte man es den Leuten nicht zu einfach machen, nach Flandern zu kommen. Auch die sozialen Vorteile sollten sie nicht mehr erhalten. Wir geben jedes Jahr 30 Milliarden Belgische Franc an Entwicklungshilfe in die Länder, wo unsere Gastarbeiter herkommen. Und das kann doch nicht richtig sein.

Wie wird mit dem Vlaams Blok umgegangen? Werden Beamte, Personen des öffentlichen Lebens, wie Professoren, Leute aus den Medien, Schauspieler, die sich zum Vlaams Blok bekennen, unter Druck gesetzt?

Van den Eynde: Ja, das gibt es. Aber trotzdem haben wir Leute in der Justiz, im Theater, in der Sportwelt, und einige bekennen sich ganz öffentlich zum Vlaams Blok. Wir haben es hier zwar auch schwer, aber nicht so schwer wie in Deutschland. Schließlich gab und gibt es hier die flämische Bewegung, die schon immer im Gegensatz zum Staat Belgien gestanden hat.

Die jedes Jahr stattfindende Ijzerbedevaart ist über Flandern hinaus von Bedeutung. Es nehmen nicht nur Flamen, sondern Menschen aus ganz Europa teil, darunter auch deutsche Skinheads, die Randale gemacht haben. Hat das der flämischen Bewegung geschadet?

Van den Eynde: Wir sind sehr europäisch orientiert, wir sind für ein Europa der Völker und wir waren immer stolz, daß Leute aus Deutschland, Irland oder Schottland nach Flandern gekommen sind. Ich selbst habe in Diksmuide einen europäischen Abend organisiert, wo man Lieder gesungen hat, auf deutsch, auf französisch, auf italienisch. Das Problem waren die Neonazis und Skinheads.

Waren die aus Deutschland oder auch aus Flandern selbst?

Van den Eynde: Nicht nur aus Deutschland, auch aus England und Frankreich.

Was, glauben Sie, ist der Grund dafür, daß diese jungen Leute Symbole zur Schau tragen, die sie eigentlich gar nicht verstehen?

Van den Eynde: Meiner Meinung nach haben die Leute keine Ideale, das Ganze ist nur Provokation. Vor 30 Jahren hat man mit Sex provoziert. Heute kann man alles erzählen; es schockiert nicht mehr. Aber mit einem Hakenkreuz kann man noch provozieren.

Ist es nur die Provokation, was Jugendliche in die Neonazi-Szene treibt, oder nicht auch die Sehnsucht nach radikalen Lösungen und die Suche nach Gemeinschaft?

Van den Eynde: Natürlich: Die Jugend sucht immer die radikale Lösung, das sehen wir hier in Flandern auch. Aber das Problem mit Skinheads kennen wir nicht, davon haben wir sehr wenige.

Die Skinheads sind also ein Phänomen, das aus dem Ausland kommt?

Van den Eynde: Das Problem mit den Skinheads ist, wenn man so will, ein Ausländerproblem.

Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Van den Eynde: In Deutschland hat das natürlich zu tun mit der Vergangenheitsbewältigung und dem komplexbeladenen Verhältnis zu der Vergangenheit. Da sucht die Jugend einen besonderen Weg, um diese Komplexe abzureagieren. Bei uns gibt es noch ganz normale Verhältnisse, wir haben ein gesundes Verhältnis zur Nation, einen gesunden Nationalismus. In Deutschland und auch in Frankreich gibt es kein normales Nationalgefühl. So etwas ist auch schwer wieder aufzubauen. Bei uns ist das ganz normal, wir schicken unsere Kinder in die Jugendbewegung, eine flämisch-nationale Jugendbewegung. Das ist völlig selbstverständlich. Deshalb bereitet es vielen Flamen Probleme, zu verstehen, warum aus Deutschland und Frankreich Skinheads zu uns nach Flandern kommen.

Der Fall des Kinderschänders Dutroux hat in Belgien zu einer Volksbewegung geführt. Inzwischen hat sich diese Bewegung verlaufen. Gibt es nach dem Zerfall der Volksbewegung einen Trend hin zum Vlaams Blok?

Van den Eynde: Vielleicht, aber nach meiner Meinung nur einen ganz kleinen Trend. Einige Leute werden wahrscheinlich politische Entschlüsse treffen, aber die meisten Leute haben sich so von der Politik abgekehrt und werden wahrscheinlich überhaupt nicht mehr wählen gehen.

Warum wählen Sie nicht den Vlaams Blok?

Van den Eynde: Weil wir erstens isoliert sind und zweitens auch nicht in die Presse kommen. Die beste Waffe des Systems ist die Ignorierung; wir werden totgeschwiegen. Trotzdem werden wir bei den nächsten Wahlen weiter zulegen.

Im Zusammenhang mit dem Fall Dutroux hieß es, der Staat Belgien sei ernsthaft gefährdet.

Van den Eynde: Man kann nur eines sagen, daß der Fall Dutroux den Glauben an den Staat erschüttert und das Vertrauen in die Justiz untergraben hat. Die Menschen haben keinen Glauben mehr an den belgischen Staat.

Was ist denn die Alternative?

Van den Eynde: Die Unabhängigkeit Flanderns!


 
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