© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
William Faulkner: Der amerikanische Schriftsteller wurde vor 100 Jahren geboren
Archaischer Charme des Südstaatlers
von Peter Boßdorf

Ein "Mann, der sich in einem Loch in Mississippi verkrochen hat und versucht, seinem Begriff und seiner Vorstelung vom menschlichen Herzen mit Hilfe seiner Einbildungskraft künstlerische Form zu verleihen" und dabei "so wenig in die Welt paßt und im Weg ist wie ein Mann, der mitten in einer Bessemer-Schmiede versucht, ein ägyptisches Wasserrad zu bauen". Wenn es galt, unter der Vorgabe des Verzichts auf eine Selbstinszenierung eine solche umso subtiler zu betreiben, ließ sich William Faulkner nicht so leicht überbieten. Würde man seinen jüngeren, ebenfalls schriftstellernden Bruder John glauben, dann kämen sogar die Legenden, die sich um seinen Alkoholkonsum ranken, ins Wanken: "Er spielte, glaube ich, den Betrunkenen, um sich bedienen zu lassen."

Manchmal hatte William Faulkner auch Glück: Die Reporter, die ihm auf seinen Hof nach Oxford/ Mississippi die Nachricht überbrachten, daß ihm der Nobelpreis zugesprochen worden sei, trafen ihn dort beim Holzhacken an. Folgerichtig war er in ihren Presseberichten der "Farmer", und ebenso kam es für einen Farmer aus der tiefsten Provinz nicht in Betracht, die heimische Wirtschaft im Stich zu lassen, um im fernen Schweden irgendwelche Dankesreden zu halten. Und folgerichtig hat er sie dann doch gehalten, anständig, im Frack, in Anwesenheit des schwedischen Königs: Wie es heißt, hatte selbst das amerikanische Außenministerium Überzeugungsarbeit geleistet. Faulkner hat es seinen Lesern nicht gedankt: In seiner Stockholmer Rede kam er auf die Idee, daß es das Privileg des Schriftstellers sei, "dem Menschen beim Ausharren zu helfen, indem er ihm das Herz erhebt", daß allein eines "für gutes Schreiben bürgt: das menschliche Herz im Widerstreit mit sich selbst".

Dies war erstaunlich gut auf ein europäisches Nachkriegspublikum hin formuliert, das sich in einer Vogelperspektive auf das Treiben der Menschheit einnistete, hatte aber reichlich wenig mit seiner eigenen literarischen Praxis zu tun: Man muß gar nicht einmal "Die Freistatt" als den Roman, in dem sex and crime auf die Spitze getrieben wurden, bemühen, um auf die Vermutung zu kommen, daß pädagogisch Verwertbares bei Faulkner sehr selten herbeizudeuten sein dürfte. Dies mag auch daher rühren, daß er rein qua Alter und die Erfahrung des Ersten Weltkrieges ebenfalls zu jener Lost Generation gehörte, die sich in den Zwanziger Jahren in fröhlicher Verzweiflung ergoß, allerdings gut inspiriert durch den Zeitvertreib in den Metropolen und zumeist durch wechselkurssubventionierte Europa-Aufenthalte. Diese Anregungen gönnte sich Faulkner jedoch nicht, so daß er sich mit "Soldatenlohn" in diesem Genre bewegt: Ein unansehnlich entstellter Kriegsheimkehrer, eine Braut, die ihn betrogen hat und zu guter letzt verläßt – da weht schon jener charakteristische fatalistische Hauch. Im Kontext der Lost Generation wird die Verantwortung dafür, nahegelegt durch den Zeitrahmen, in dem sich ihre literarischen Entäußerungen bewegen, in der (zeitgenössischen) Gegenwart gesucht, ohne überzeugend fündig werden zu müssen – für das Amüsement ist durch den Anschein der Gefährlichkeit ja schon genügend gesorgt.

Faulkner ist da weitsichtiger: Wenn man für die vielfältigen Impressionen aus seinem fiktiven, allerdings irgendwo in Mississippi vorzustellenden Yoknapatawpha County nicht gleich die Conditio humana hinter allem Schicksal und darunter eben vor allem Unbill wittern möchte, so ist es doch zumindest der Sonderweg der Südstaaten. Faulkner legt es dem Rechtsanwalt Gavin Steves, einem seiner vielen in verschiedenen Werken auftretenden Protagonisten in den Mund, "daß die Vergangenheit niemals tot, ja nicht einmal vergangen" sei: Die unabwendbare Niederlage der Konförderierten im Bürgerkrieg, die wiederum nur die Konsequenz einer fatalen Fehldisposition der Südstaaten eigentlich von Anfang an war, – dies ist nicht nur der Rahmen für all das, was sich entwickelt, sondern prägt die Lebenswege der Individuen, die ihren Blutsbanden nicht entkommen können. Ob es um die Geschlechter der Satoris, der Snopes oder der Sutpen geht – es sind immer die Verwicklungen einer nahezu mythischen Vergangenheit mit ihren oftmals gelebten Hinterlassenschaften, die den Geschicken ihre – zerstörerische – Richtung geben.

Faulkner schöpfte aus dem Vollen einer Lebenswelt, die er sich zum Teil selbst erst literarisch aneignete, und er erlag doch nicht der Versuchung, ein üppiges und notgedrungen der Gefahr der Verkitschung ausgesetztes Bild der Südstaaten-Gesellschaft zu zeigen – dafür war Margaret Mitchell zuständig. Das Panorama ist beinahe provozierend fragmentarisch, subjektiv gefärbt und nicht selten aus verschiedenen Perspektiven erzählt, voller Ungewißheiten und Widersprüchen. Genealogische Verstrickungen, deren Komplexität denen in E.T.A. Hoffmanns "Elixieren des Teufels" in nichts nachsteht, können da auch schon mal im Dunkeln bleiben, so daß (wie bei "Schall und Wahn" tatsächlich erschienen) ein "Anhang" vonnöten wäre, käme es darauf überhaupt an: Hier Aufklärung einzufordern, hieße schließlich, die Tragödien Faulkners mit Kriminalromanen oder Lehrstücken, wie es denn nun in Gottes Namen besser zu machen sei. Es mag sein, daß der archaische Charme, der heute über Faulkners Werk liegt, auch darauf zurückzuführen ist, daß die Vergangenheit, die erst gar nicht vergehen wollte, nun doch vergangen ist. Peter Bossdorf


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen