© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Kabarett: "Kleider machen Leute" von Sinasi Dikmen
Das Publikum Als Strafe
von Ellen Kositza

Einem leicht gebrochen sprechenden Türken, möchte man meinen, fiele es leicht, hierzulande ein gutes, will heißen: möglichst scharfzüngiges, angriffslustiges Kabarett zu inszenieren. Er könnte jenseits von gut und böse, jenseits von läppischen Kanzler-Kohl-und-der-Saumagen-Witzen polemisieren und damit ordentlich Unordnung bringen in die hausgemachten Gemeinplätze satirischer Kleinkunst. Immerhin entstammen die interessantesten, am meisten zugespitzten Formulierungen über neudeutschen Befindlichkeitsschmu häufig genug der Sichtweise derer, denen die deutsche Mentalität nicht primär die eigene ist. Und schließlich wäre kaum etwas unangebrachter, als einen radebrechenden osmanischen Mitbürger der politischen Unkorrektheit zu zeihen.

Über ein Jahrzehnt hatte Sinasi Dikmen als Gründer des ersten deutschsprachigen türkischen Kaberetts "Knobi-Bonbon" europaweit Furore gemacht und fast durchweg lobende Kritiken einfahren dürfen. Dikmen "nimmt seine Landsleute, wie die Deutschen unter die Lupe", verrät die Programmankündigung. "Der Kebap ist der einzige Grund, warum es in Deutschland über 4,5 Millionen Arbeitslose gibt. Der fortschrittliche Vater kontrollliert seine 18 Töchter auch modern: Mit Computer und Fußsensoren. Zum Glück leben in Deutschland noch die Deutschen, wer soll sonst auf so viele Ausländer aufpassen? Dikmen vergißt dabei seine Landsleute nicht. Sie bekomen ihr Fett genauso ab. Politisch, witzig, gallig." Grund genug also, mit anspruchsvollen Erwartungen "Die KÄS" zu besuchen, die "Kabarett Änderungsschneiderei" als von Dikmen soeben gegründete Gastspielbühne für das humoristische Genre. Dikmen, von Ulm nun nach Frankfurt (Main) umgezogen, ist gewissermaßen die Verkörperung des "netten Türken von nebenan", ebenso sympathisch, wie es das Image des Gastarbeiters der ersten Generation nun einmal ist. Mit dem Solo-Programm "Kleider machen Leute" gab der Satiriker jetzt seinen künstlerischen Einstand im neuen Domizil; Dikmen in der Rolle eines Schneiders: Dies allein ist als Grundidee gelungen – die Änderungsschneidereien in der Bundesrepublik als ausschließlich türkische Domäne mit dem Kabarettisten an der Nähmaschine, von wo aus er seine deutsch-türkischen An- und Einsichten preisgibt.

Vielleicht dreißig augenscheinlich Deutsche sind es, die sich in dem bistroartigen Minitheater zusammengefunden haben; ein Lehrerzimmer, möchte man mit Blick auf das Publikum meinen, Zuschauer, mit denen Sinasi Dikmen von Anfang an gestraft ist: Sein amüsanter Einstieg über die "multikulinarische" Verlobungsfeier sucht vergeblich belustigte Lacher, Anekdoten über den perversen Perser und die verlobte türkische Fünfzehnjährige, die unter dem ihr geschenkten Goldschmuck schließlich zusammenbricht, mag man hier nicht hören. Und tatsächlich bahnt sich Dikmen übergangslos seinen Weg zu Moralismen und altbekannter, bereits hundertfach absolvierter Nabelschau.

Es geht um Gauweilers zerschlissene Hose, deren schwarzbraune Farbe bis zum Abwinken betont wird, um die unvermeidlichen Augenbrauen Theo Waigels und ganz generell um das Klischee des intoleranten Deutschen. Das Publikum lacht, so etwas hört es doch immer wieder gern, manchmal aber schweigt es. Der Grund dafür erweist sich als herrlich schlicht: Die Pointe wurde wieder einmal nicht verstanden. Dikmen müht sich, erklärt seine mitunter recht lauen Witze, macht ein bißchen Kasperle-Theater, spricht die Madames in der ersten Reihe wiederholt direkt an. Ein junger Deutscher, freilich kahlrasiert und mit Springerstiefeln, habe ihn gerade an seinem Arbeitsplatz aufgesucht und bunte Stoffetzen mitgebracht – Dikmen hält drei verschiedenfarbige Tücher hoch –, daraus wolle er eine Fahne genäht haben, für eine Demonstration, "und zwar bis heute abend, sonst passiert etwas", wie es eben der übliche Umgangston dieser überaus populären Jugendkultur sei. In welcher Reihenfolge, wendet sich der Satiriker an das mehr kichernde als schenkelklopfende Publikum, müsse er denn nun die Farben zu der gewünschten Fahne zusammennähen? Rot-schwarz-kariert, prustet da eine Dickmadam, eine andere meint: "Tauschen sie doch schwarz gegen grün, dann sind’s tolle Farben", und fügt leise erklärend hinzu… "Das sind nämlich die Farben von Reggae".

Sinasi Dikmen, seines Zeichens Änderungsschneider, hat Pech mit seinen Gästen, niemand ist in der Lage, ihm zu erklären, daß schwarz-rot-gold die Reihenfolge der Farben sei, und diese minutenlang vorenthaltene Antwort bräuchte er doch so dringend, um seine Pointe anzufügen, daß es nämlich gar nicht gold, sondern wohl eher gelb sei: "Kein Wunder, nach zwei verlorenen Weltkriegen – da gibt’s kein Gold mehr."

Weiter lästert der Satiriker über inhumane deutsche Asylverfahren, über intolerante Kleinbürger, die sich über die Muezzinrufe in deutschen Städten zu mokieren pflegen, wiederholt über den Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba, der in seinem Mund unversehens zum Kardinal wird und ganz generell über die mangelnde Bereitschaft der Deutschen zu Kniefällen. Zeitweise sind Sinasi Dikmens Scherzlein zum Lächeln, manchmal zum Gähnen, beständig wirkt der von links hochgelobte Kabarettist nett, nie zynisch, keineswegs ärgerlich. Gegen Ende gerät das Programm doch reichlich bemüht, und selbst diese Mühe versteht das behäbige Publikum nicht recht zu danken, läßt sich die Witze weiterhin erklären. Insgeamt herrscht dennoch diese gewisse Augenzwinker-Stimmung, ja, ja, wir verstehen uns schon, Sinasi, wir sind unter uns. Und da man weder über Dikmen noch über seine Zuschauer herzhaft hat lachen können, obwohl der Eintrittspreis von 20 beziehungsweise 25 Mark drei Kinokarten ausmacht, gönnt man sich zu Hause zur Entspannung gern noch eine Fernsehstunde Harald Schmidt.

Die KÄS. Kabarett Änderungsschneiderei. Finkenhofstr. 17, 60322 Frankfurt (Main), Tel.: 069 / 55 07 36


 
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