© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Kino: "Happy togheter" von Wong Kar-Wai ist ein langer Abschied
Gegenüber von Hongkong
von Doris Neujahr

Bei den Filmen des inzwischen zum Kultregiesseur avancierten Hongkong-Chinesen Wong Kar-Wai ist der Betrachter immer unschlüssig, ob die ehemalige Kronkolonie als Schauplatz erst durch seinen Film erschaffen wurde, oder ob die Boomtown sich ihn und seinen hervorragende Kameramann Christopher Doyle als ädaquates und exklusives Medium auserkoren hat. Zuletzt 1996 verschlug es einem anläßlich von "Fallen Angels" den Atem über die technischen Raffinessen, die Schnitte, die Stakkato-Szenen, den harten Sound, die dröhnend ankündigten, was von einer Stadt des 21. Jahrhunderts zu erwarten ist. Sie vermittelten eine Ahnung davon, welche Vitalität und Kraft in Hongkong steckt und was sie dem Menschen abverlangt: Das Überleben im Dschungel von Honkong ist ein schwieriges, ja brutales Geschäft. Wie harmlos, provinziell, marginal, gerazu bigott kommen einem da die deutschen Großstadtkomödien vor! Wong Kar-Wai ist für das heutige internationale Kino das, was der Großstadtpoet Jean-Luc Godard in den 60er Jahren war.

Vielleicht ist die frühere Kronkolonie auf Dauer sogar für ihn zu hart: Er habe es satt, "immer wieder Fragen über die Zukunft Hongkongs zu beantworten", äußerte er. Seinen neuen Film hat er am entgegengesetzten Ende der Welt, in Argentinien, gedreht. Erstmalig zeigt er eine Partnerschaft, wenn auch eine zu Bruch gegangene, und zwar zwischen zwei jungen, natürlich ausnehmend hübschen Männern, die aus Hongkong hierhergekommen sind, um ihre Beziehung wieder ins Lot zu bringen. Gefallene Engel sind auch sie: Für den einen, Liu Yiu-Fai (Tony Leung), ist ein zweiter Grund seiner Reise, daß er in der väterlichen Firma Geld unterschlagen hat. Als Türsteher einer Nachtbar, als Koch im China-Restaurant und Arbeiter im Schlachthof fristet der eine, als Stricher der andere seine Existenz. Ihre Isolation schweißt sie keineswegs fester zusammen. Eine Reise zu den majestätischen Issugua-Wasserfällen – die am Anfang und am Ende symbolträchtig eingeblendet werden – soll die Beziehung wieder flottmachen, doch das Auto geht kaputt, und ein Wort gibt das andere. Doch ist der Anlaß für Krach sekundär, wenn eine Beziehung sich verbraucht hat. Dieser Vorgeschichte in Schwarz-Weiß folgt eine bittersüße Folge von Bildern, die abwechselnd im weichen Gegen- und grellen Großstadtlicht, im rasanten Tempo und mit zeitlupenartigen Verzögerungen, abgedreht wurden.

Lai Yiu-Fai nimmt Ho Po-Wing (Leslie Cheung) wieder auf, als der zusammengeschlagen wird. Es folgt, wie es heißt, die schönste Zeit zwischen ihnen, die doch auch wieder eine einzige Katastrophe ist. In der schäbigen Absteige vollzieht sich ein unendlich langer Abschied, der offensichtlich auch vom James-Baldwin-Roman "Giovannis Zimmer" inspiriert ist. Der eine versteckt den Paß des anderen, um denjenigen, den er von sich stößt, wieder an sich zu binden, was dieser sich nur zu gern gefallen läßt. Logisch ist das alles nicht, doch wann wären Liebe, auch eine erkaltete, und Abschiedsschmerz je vernünftig gewesen?

Happy together, vereint glücklich, das ist, auf die Beziehung der beiden bezogen, reine Ironie, in einem allgemeinen Sinne aber als Imperativ gemeint. Vielleicht ist das auch der zweite Schlüssel zum Erfolg des Regisseurs: Daß er sich ganz lapidar zu ein paar Stereotype bekennt, die alle Zeitläufte, Grenzen, hypermodernen Lebensphilosophien, Weltstadthärte und Weltenbummlerei überdauern: Als Lai Yiu-Fai endlich am Wasserfall steht, am Ziel der Sehnsucht, während sein Ex-Freund heulend die Wohnung putzt, weiß er: "Man sollte nicht allein hier sein."


 
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