© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Werner Obst: Euro und Osterweiterung
Schicksalhafte Weichenstellung
von Michael Wiesberg

Unmißverständlich stellt Werner Obst gleich zu Beginn seines hier anzuzeigenden Buches "Euro und Osterweiterung" fest: "Der Euro wird die D-Mark Europas. Er wird so stabil wie diese und später sogar den Dollar ersetzen". Der Euro werde den Weg freimachen für "einen grandiosen wirtschaftlichen, politisch-kulturellen und moralischen Aufstieg Europas". Wer wagt gegen eine mit soviel Verve vorgetragene Ankündigung noch Widerspruch?

Die (berechtigte) Skepsis der großen Mehrzahl der Deutschen gegenüber dem Euro kann Obst genau benennen: Sie kreist angeblich um die Einstiegsbewertung 1 Euro = 1 Ecu. Zur Erinnerung: Der Ecu wurde im März 1979 auf französisches Betreiben von Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt als Verrechnungseinheit der EU eingeführt. Er setzt sich aus sämtlichen Währungen der Mitgliedsländer zusammen und wurde auf der Basis des prozentualen Anteils der jeweiligen Wirtschaftsleistung der Länder im Bruttoinlandsprodukt der damaligen EU errechnet. Seitdem ist der Wert des Ecu gegenüber der D-Mark ständig gefallen. Analog zum Wertverfall des Ecu muß in den Augen vieler bei Einführung des Euro mit einer ähnlichen Entwicklung gerechnet werden, wenn der Euro ähnlich wie der Ecu mit schwachen Währungen vermischt wird.

Viele französische Intellektuelle sind weit davon entfernt, den Euro als "Wegbereiter" für "einen grandiosen Aufstieg Europas" zu sehen. An dieser Stelle sei mit dem Soziologen und Historiker Emmanuel Todd nur eine Stimme zitiert: "Hinter der Euro-Euphorie und den deutsch-französischen Fusionsgelüsten vieler Franzosen", so Todd, "steckt der Wille, Deutschland zum Verschwinden zu bringen."

Interessanter als Obsts Euro-Euphorie, die daran krankt, daß sie entscheidende Aspekte schlicht ausklammert, sind seine Gedanken über die Konturen einer möglichen multipolaren Welt. Dabei sieht er drei Zentren: Westeuropa, Nordamerika und das aufstrebende Ostasien. Dem um sein politisches und wirtschaftliches Überleben kämpfenden Rußland empfiehlt Obst, sich über Landverkäufe zu sanieren, um langfristig in die EU eingebunden werden zu können. Aus deutscher Sicht ist dieser Vorschlag durchaus von geopolitischem Interesse, weil die von Obst ins Spiel gebrachte Achse Paris – Berlin – Moskau Berlin in den geographischen Mittelpunkt der dann bis zum Ural reichenden EU rücken würde. Dieses Gedankenspiel hat einiges für sich. Obst legt bei seinen Überlegungen zugrunde, daß der asiatische Teil des russischen Territoriums von der Moskauer Machtzentrale bereits mittelfristig nicht mehr zu halten sein wird. Um einen wirtschaftlichen Wiederaufbaus Rußlands und damit auch die Einbindung in die EU zu gewährleisten, sollte Rußland über Landverkäufe Fakten schaffen, ehe es zu spät ist, sprich: ehe die ständig schwächer werdenden Bindekräfte Rußlands endgültig versiegen.

Nach Obst sollte Finnland Rußland Ostkarelien abkaufen können, Japan die südlichen Kurilen, China die Region zwischen Baikalsee und dem Stillen Ozean, Ungarn Siebenbürgen und Transkarpatien, und Nordostpreußen schließlich sollte von Deutschland zurückgekauft werden können: "Damit käme Rußland", so Obst euphorisch, "schlagartig aus Geldmangel, Schulden und Not heraus!". Über Nacht soll mit diesen Verkäufen auch das "miserable politische Management", das "nicht viel von Geld und Wirtschaft versteht", in eine effektive Verwaltung mutieren, die die bestehenden Probleme Rußlands lösen kann. Sagen wir es deutlich: Daß sich aufgrund dieser Verkäufe in Rußland eine effektive Verwaltung einstellen könnte, bleibt die bloße Hoffnung westlicher Gesundbeter. Obsts Analyse krankt daran – darauf wurde bereits im ersten Teil dieser Betrachtung hingewiesen –, daß sie alle Mißstände auf die "russische Mentalität" und deren mangelnde Effizienz schiebt. Daran mag einiges stimmen. Ist Werner Obst aber einmal der Gedanke gekommen, daß der derzeitigen Supermacht USA – deren Interessen in seinem Buch bezeichnenderweise nicht mit ins Kalkül gezogen werden – gar nicht daran gelegen sein könnte, daß Rußland seine desolate Situation überwindet? Wirtschaftsfragen werden in den USA als Schlüsselfragen der Außenpolitik angesehen und sind damit Fragen der nationalen Sicherheit. Die subtile Strategie, die auf der Basis dieser neuen Sicherheitsdoktrin seit den Wendejahren eingeschlagen wurde, ist in hiesigen Kreisen selbstverständlich nicht zur Kenntnis genommen worden. Sie sind aber grundlegend, wenn man – wie Obst – geopolitische Planspiele anstellt. Die Hauptrolle bei der Destabilisierung Rußlands spielen, auch dies wurde bereits im ersten Teil angesprochen – die von den USA dominierten übernationalen Institutionen Internationaler Weltwährungsfond (IWF), World Trade Organisation (WTO) und Weltbank. Ein berüchtigtes Instrument des IWF – das auch in Rußland angewendet wurde – heißt "Strukturanpassungsprogramm", das in der Regel "schockartig" eingeführt wird. Dieses Programm bedeutet Öffnung des Marktes, Rückführung der Staatsausgaben, Öffnung des Landes für ausländische Investoren, Rückführung der Subventionen, Privatisierung, Deregulierung. Wie problematisch die Auswirkungen einer derartigen Politik sind, verdeutlicht das wichtigste Instrument der Strukturanpassung: die Privatisierung von staatlichen Unternehmen und Dienstleistungen. Seit Einführung dieser Reformen unter Gajdar schrumpfte die russische Wirtschaft um sage und schreibe 50 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe sogar um 70 Prozent! Eine sprunghaft angestiegene Arbeitslosigkeit auf ca. 30 Prozent ist eine weitere Folge dieser Politik. Die arbeitende Bevölkerung bekommt ihre Löhne zum Teil erst nach Monaten ausbezahlt. Dazu kommt, daß über die Hälfte aller Preise über dem Weltmarktniveau liegt.

Für Obst hingegen ist alles ganz einfach: "Moskau hat ein außerordentlich miserables Management, das nicht viel von Geld und Wirtschaft versteht." Das sei, so Obst, "zweifellos kommunistisches Erbe". Diese Behauptung ist in dieser Pauschalität nicht aufrechtzuerhalten, waren es doch auch und gerade westliche Wirtschaftsberater, die dem Wirtschaftsprofessor Gajdar zugeredet hatten, den russischen Markt für ausländische Importe maximal zu öffnen.

Trotz aller Fehleinschätzungen sind Obsts Gedankenanstöße wichtig, weil sie auf ein Terrain führen, von dem man sich in Deutschland längst verabschiedet hat: geostrategische Überlegungen, die sich für Deutschland nach dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes mit aller Schärfe stellen, bis heute aber
keine eigenständige nationale Antwort finden.

Keine Frage, eine Annäherung an Rußland liegt im ureigensten deutschen Interesse. Nur zu erahnen sind die Möglichkeiten, die sich für Deutschland etwa als Großanlagenbauer für den eurasischen Raum ergeben könnten. Wenn die Unsummen, die von deutscher Seite in die Finanzierung des bürokratischen Zombies Brüssel fließen, in eine Art Bank für den Wiederaufbau Osteuropas und hier insbesondere Rußlands strömen würden! Diese Rolle wird Deutschland aber nicht im Rahmen der "Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion" wahrnehmen können.

Werner Obst: Euro und Osterweiterung, Bechtle Verlag, München 1997, 202 Seiten, geb., 39,90 Mark


 
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