© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
JF-Rporter unterwegs: Dem Mythos der geheimnisvollen Wewelsburg auf der Spur
Und täglich ruft die Gruft
von Manuel Ochsenreiter/ Detlev Rose

Es ist unheimlich. Kaum verlassen wir die Autobahn bei der Ausfahrt Büren, öffnet der Himmel seine Schleusen und Regen trommelt unerbittlich auf den schwarzen Golf, in dem wir sitzen, hernieder. Das Donnergrollen, das uns schon seit Stunden begleitet, erwächst zu einem tosenden Gewitter. Kaum schneller als Schrittgeschwindigkeit ist unser Tempo, und der Scheibenwischer rast vor unseren geweiteten Pupillen hin und her. Seit fünf Stunden sind wir aus Deutschlands Hauptstadt unterwegs, um eines der letzten Geheimnisse unserer Zeit zu ergründen. Vor uns blitzt es hell auf, und der Himmel bleibt für kurze Zeit erleuchtet. Ein Straßenschild wird für kurze Zeit sichtbar: "Wewelsburg 3km". Wir sind am Ziel unserer Reise!

Die einzige Dreiecksburg Deutschlands ist schon über siebenhundert Jahre alt, Anfang des siebzehnten Jahrhunderts wurde sie mit großem Aufwand ausgebaut. Trotz ihres ungewöhnlichen Grundrisses wäre sie wohl nur eine unter Hunderten von Burgen geblieben, wenn, ja wenn nicht Heinrich Himmler kurz nach dem 30. Januar 1933 auf sie aufmerksam geworden wäre. Der Reichsführer SS beschloß, hier ein Schulungszentrum für seinen "schwarzen Orden" einzurichten.

Das in der Burg untergebrachte Museum mußte bei den schon kurze Zeit später in die Wege geleiteten Umbauarbeiten weichen. Unter dem Einfluß völkisch-okkulter Lehren, die von der Erhabenheit und Größe einer nordischen Urkultur kündeten und die Mythen um Atlantis und Thule wiederbelebten, hatte Himmler 1935 die Gründung der Forschungs- und Lehrgemeinschaft "Ahnenerbe" initiiert, um Kultur und Religion der nordischen Vorfahren zu ergründen. Auf der Wewelsburg sollten SS-Führer eine Art "Grundausbildung" in Mythologie, Runenkunde, Archäologie, Kunst und weiteren der weltanschaulichen Fundierung dienlichen Wissensgebieten erhalten; zu diesem Zweck wurde eine 16.000 Buch- und Zeitschriftenbände umfassende Bibliothek eingerichtet. Daneben sollte die Wewelsburg aber auch ein Ort praktizierten Kults werden, wie diverse andere magisch aufgeladene Plätze wurde sie zum "Mittelpunkt der Welt" deklariert, und um die Entstehung einer geheimnisvollen Aura zu forcieren, war die Burg für die Öffentlichkeit ab 1935 tabu. Doch was passierte wirklich in der Wewelsburg, insbesondere im Nordturm, in dem die SS den "Obergruppenführersaal" sowie eine nach dem Vorbild einer mykenischen Grabhalle gestaltete Krypta einrichtete? Zelebrierte ein innerer Kreis der SS hier okkulte Rituale? War die Wewelsburg ein Zentrum der "faschistischen Esoterik"?

Fragen, die uns durch den Kopf schießen, als wir am Gitter stehen, das uns den Zugang zum "Obergruppenführersaal" versperrt. Wir blicken auf das in den Marmorboden eingelassene Symbol der "schwarzen Sonne", ein Sonnenrad mit zwölf Speichen in Form von Sig-Runen, ein Zeichen aus einer anderen Zeit, nach dem Vorbild einer alemannischen Fibel aus dem Frühmittelalter. Das Rad soll Sinnbild des wiederaufsteigenden Lichts in einer Welt der Dunkelheit sein. Ein Symbol der Reinheit, dessen magische Kraft angeblich all jene erfüllen soll, die wissen, daß der heilige Gral, das reine Blut, durch ihre Adern strömt. So verwenden das Wewelsburger Sonnerad sowohl rechte Zirkel wie unpolitische Esoteriker.

Wir gehen im netten Museums-Café ein friesisch herbes Jever-Bier trinken. Denn Kult und Mythos strengen an und machen durstig. Nebenan befindet sich die Ausstellung, die sich vor allem mit der jüngeren Vergangenheit der Wewelsburg befaßt. Ein Film wird gezeigt. Dort erfahren wir, wie die Bürger von Wewelsburg wirklich sind: ein kleines, fieses, ignorantes Dorfvolk ohne jede historische Sensibilität. Denn, so sehen wir, wehren sie sich seit Jahrzehnten gegen irgendwelche Gedenkplaketten, die an das nahegelegene KZ-Niederhagen erinnern sollen. Eigenmächtig von SPD-Politikern plazierte Metalltafeln wurden einfach wieder entfernt. Dafür bewältigen jetzt VVN-Aktivisten kräftig die Vergangenheit des kleinen Dörfchens, das so gar nichts mit dem "schwarzen Orden" gemein hat, hätte es doch damals sogar umgesiedelt werden sollen. Während des Filmes herrscht eine andächtige Atmosphäre im Raum, die durch synchrones und pflichtschuldiges Kopfschütteln der Anwesenden fast mit der Aura der "Gruft" zu vergleichen ist.

Sehr unterhaltsam hingegen ist das Gästebuch. Betroffene Grundschullehrer, engagierte Hausfrauen, Juso-Kreisvereine, Jung- bzw. Altnazis und bekennende ehemalige SS-Männer ("Meine Ehre heißt immer noch Treue!") mischen sich zu einem bunten Potpourri. Aber auch eine herzliche Unschuld der unverfälschten Eindrücke ist vorzufinden. So schreibt die 10jährige Kathie aus Ülmen: "Das Museum war langweilig. Schön fand ich das Besteck. Und auch der Totenkopfring war sehr schön." Und der 12jährige Martin weiß: "Die Ausstellung war leereich und inderessand".

18 Uhr, Zeit die Wewelsburg wieder zu verlassen. Bevor wir gehen, erfahren wir durch Zufall noch einiges über die allerjüngste Vergangenheit des mysteriösen Platzes. Okkulte und neuheidnische Gruppen suchen wieder verstärkt die Wewelsburg auf, um dort geheime Riten zu zelebrieren. Mehrfach, so heißt es, sei das Gitter zur "Gruft" schon aufgebrochen worden. Fröstelnd beschließen wir, den Ort zu verlassen.

In Gedanken verweilen wir noch einmal bei den Druiden, Hexen, Feen, Magiern und Waldschraten, bei Stonehenge, den Externsteinen und der "schwarzen Sonne", bei König Artus, Parzival und Sir Lancelot, Zeugen und Lichtgestalten einer längst untergegangenen Zeit, welche in unseren Märchen, Geschichten, Sagen und geheimsten Sehnsüchten weiterleben.


 
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