© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Hamburg: Günter Rohrmoser analysiert das Versagen der rechten und Konservativen Parteien
"Selbst ruiniert und dezimiert"
von Gerhard Quast

Herr Professor Rohrmoser, wie bewerten Sie den Ausgang der Wahlen in Hamburg?

ROHRMOSER: Zuerst einmal sollte man die Bedeutung dieser Landtagswahl, die ja eine Stadtwahl war, nicht zu hoch einschätzen. Trotzdem ist natürlich einiges an dem Ergebnis bemerkenswert: Der Ausgang der Bundestagswahl im nächsten Jahr ist offen. Kohl hat unvermindert eine Chance. Ob er sie nutzen kann, wird wesentlich davon abhängen, wie die SPD den Ausgang dieser Wahlen interpretiert und welche politischen Konsequenzen sie daraus zieht. Es ist ganz sicher kein Votum für Oskar Lafontaine. Ich glaube vielmehr, daß der Ausgang der Wahl gezeigt hat, daß die SPD mit Lafontaine keine Chance hat, denn wenn bei der gegenwärtigen Lage die Opposition im Bundestag in einer traditionsreichen SPD-Stadt wie Hamburg nicht über 50 Prozent kommt, sondern vier Prozent verliert, dann ist das ein vernichtendes Urteil über die Opposition und Oppositionsführung.

Aber doch auch für die FDP, die den Einzug wiederum nicht geschafft hat?

ROHRMOSER: Natürlich ist als zweites wichtig, daß die FDP in einer außerordentlich bürgerlich geprägten Stadt wie Hamburg es nicht vermochte, in die Bürgerschaft zu kommen. Das bedeutet, die FDP geht weiterhin auf sehr dünnem Eis und die CDU muß sich darüber Gedanken machen, was passiert, wenn die FDP als Koalitionspartner wegbrechen sollte. Denn selbst wenn die FDP – wovon ich ausgehe – auch beim nächsten Mal in den Bundestag einzieht, wird sie die nötigen Stimmen im wesentlichen aus dem Koalitionslager holen und keine Stimmen für die Koalition zusätzlich gewinnen. Interessant ist dabei für die CDU der Blick nach Frankreich, denn dort ist sehr deutlich geworden, daß der Kampf der Liberalkonservativen gegen alles, was rechts von ihr steht, das Ergebnis hat, daß sie heute auf unabsehbare Zeit in der Opposition sitzt. Vor einer ähnlichen Situation kann die CDU/CSU morgen auch stehen, wenn sie nur noch die Wahl zwischen Skylla und Charybdis hat, daß heißt, zwischen einer Großen Koalition oder einem schwarz-grünen Bündnis.

Und wie beurteilen Sie den Wahlerfolg der DVU?

ROHRMOSER: Diese wirklich rechtsextreme Partei, der nur wenige hundert Stimmen fehlten, um ins Parlament einzuziehen, ist wie aus dem Nichts plötzlich aufgestiegen. Nur wenige Flugblätter an die Hamburger Haushalte haben genügt, daß sie haarscharf die Fünf-Prozent-Klausel verfehlt hat. Wichtig daran ist eine Lehre für die Rechten: Sie müssen wissen, daß – solange die Zersplitterung der Parteien rechts von der CDU einschließlich dessen, was man rechte Mitte nennen kann – anhält, sie sich selber ruinieren und dezimieren. Solange sie sich nicht auf eine Partei einigen, werden sie erfolglos bleiben.

Wie groß schätzen Sie dieses Wählerreservoir ein?

ROHRMOSER: Ein Blick auf das Ergebnis zeigt, daß bei dieser Wahl jeder zehnte rechts bis rechtsextrem gewählt hat. Noch interessanter ist aber die Tatsache, daß 30 Prozent nicht zur Wahl gegangen sind. Das bedeutet, daß 40 Prozent der wahlberechtigten Hamburger entweder gegen die etablierten Parteien votiert oder sich von ihnen abgewandt haben. Und in diesen 40 Prozent steckt das eigentliche Reservoir. Wenn es einer Partei gelingen würde, dieses Potential politisch zu aktivieren, könnte das Parteiensystem in Deutschland genauso in die Luft gesprengt werden, wie es in Italien geschehen ist.

Aber eine Einigung zwischen konservativen einerseits und rechtsextremen Parteien andererseits ist weder möglich noch wünschenswert.

ROHRMOSER: Es geht dabei natürlich nicht um Herrn Frey, mit dem kann sich keiner einigen, das ist völlig klar. Nur, man muß sich die ansehen, die ihn gewählt haben. Das ist ein Bündnis von Arbeitern und jungen Leuten, vorwiegend aus Stadtteilen, die früher mehrheitlich SPD gewählt haben und in denen der Ausländeranteil besonders hoch ist. Diese Leute sind sowohl aus sozialen Gründen wie auch über ihr Alleingelassen-sein geradezu verzweifelt. Sie sehen keinen anderen Ausweg mehr, als eine solche dubiose Figur wie Herrn Frey zu wählen. Wenn es eine artikulationsfähige und vernünftige Stimme einer reformierten und geläuterten nationalen Kraft in Deutschland gäbe, bräuchten sie nicht Herrn Frey zu wählen. Was die DVU angeht, so denke ich vorwiegend an die Zusammensetzung ihres Wählerpotentials. Mit Herrn Freys extremistischer Partei ist eine Verständigung natürlich völlig ausgeschlossen.

Die Konsequenz wäre also, sich an einen Tisch zu setzen?

ROHRMOSER: Mit den Runden Tischen ist das so eine Sache. Bisher hat sich gezeigt, daß bei solchen Gesprächen überhaupt nichts erreicht wird, es sei denn, daß man sich bestätigt, daß man sich nicht einig ist und in der Regel so unterschiedliche Sprachen spricht, daß eine Verständigung unmöglich ist. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß die Wähler und die potentiellen Wähler sehr schnell einsehen würden, daß nur eine Konzentration – ich formuliere das mal aus rechter Sicht – der nationalen und nationalkonservativen Kräfte politisch überhaupt etwas erreichen kann. Die Chancen für eine solche Konzentration sind spätestens nach der Ära Kohl gegeben. Dann werden für die politische Repräsentanz des bürgerlichen Lagers die Karten neu gemischt. Darauf müssen sich die konservativen Kräfte vorbereiten. Denn natürlich bewegt sich auch ein großer Teil der Wählerschaft der CDU, von der CSU ganz zu schweigen, mit wachsender Tendenz nach rechts. Daß sich selbst die SPD nach rechts bewegt hat, hat nicht nur der Wahlkampf von Herrn Voscherau gezeigt, sondern das zeigt auch die ganze Strategie – wenn man davon reden kann – bei Herrn Schröder.

Hat Voscherau mit der Thematik "Innere Sicherheit" den rechten und rechtsextremen Parteien Wähler zugeführt?

ROHRMOSER: Die, die jetzt behaupten, die SPD hätte deshalb die Wahl verloren, die irren sich gründlich, denn keiner kann sagen, wie viele Stimmen sie verloren hätten, wenn Herr Voscherau keinen rechten Wahlkampf gemacht hätte. Seine Parolen waren nur deshalb unglaubwürdig, weil er zehn Jahre Zeit gehabt hat, die Übel zu beseitigen.

Sie schätzen also das rechte beziehungsweise Protestwählerpotential höher ein?

ROHRMOSER: Ich spreche in diesem Zusammenhang nur ungern von "rechts". Faktum ist vielmehr, daß nach wie vor mehr als 50 Prozent der Deutschen konservativ denken. Im übrigen ist in allen Demokratien einschließlich der Nachfolgedemokratien, die aus den totalitären Staaten hervorgegangen sind, ein Trend hin zum Konservativen feststellbar. Nur wir hinken nach, weil wir so provinziell in unseren ideologischen Formeln von gestern und vorgestern verstrickt sind, daß wir die Realitäten dieser Welt gar nicht mehr wahrnehmen.

Die Ära Kohl dauert nun schon 15 Jahre an, und ein baldiges Ende ist nicht abzusehen.

ROHRMOSER: Solange wir eine solche Opposition haben, muß man ein gewisses Verständnis dafür haben, daß sich die Leute dann doch im Zweifelsfalle an das sogenannten Bewährte halten, weil sie noch nicht wissen, welchen Preis sie eines Tages für die Kohl-Ära zahlen müssen. Das dauert noch ein bißchen. Es kann sein, daß Herr Kohl vorher das Feld verläßt, es kann aber auch sein, daß die Präsentation des Preises ihn hinwegfegen wird.

Worin sehen Sie den Grund, daß sich die Republikaner nicht durchsetzen konnten?

ROHRMOSER: Was die Republikaner angeht, so droht die Gefahr, daß die Entwicklung über sie hinweggeht, weil sich die ganze konzentrierte Kraft vor allem der CDU, aber auch der CSU, gegen die Republikaner gerichtet hat, mit all den Methoden, die uns bekannt sind. Damit ist die Union allerdings das "rechte" Problem nicht los geworden. Vielmehr kehrt es in einer viel extemistischeren, dümmlicheren und wirklich gefährlichen Form zurück. Die Tatsache, daß so viele die DVU gewählt haben, läßt Rückschlüsse auf eine zunehmende Radikalisierung auch im sogenannten rechten Lager zu, während im Vergleich dazu die Republikaner eine moderate Rechte sind, eine im Grunde genommen demokratische Rechte, die unter Herrn Schlierer ständig um bürgerliche Reputation bemüht ist. Wenn sich herausstellen sollte, daß durch ein solches Bemühen die gewünschten Ziele nicht nur nicht erreicht werden, sondern geradezu das Gegenteil bewirken, wird das weiter zur Radikalisierung der Rechten beitragen. Natürlich liegen die entscheidenden Gründe bei den Republikanern selber, auch an der Führung der Republikaner, denn die Aufgabe, beides zu meiden, eine zu weitgehende moderate Anpassung an die CDU auf der einen Seite und eine Annäherung an eindeutig radikalere Varianten auf der anderen Seite, setzt eine hohe politische Kunst und sehr viel politische Erfahrung voraus. Es gibt auch noch andere Gründe: Eine ernstzunehmende neue politische Kraft braucht einen theoretischen und geistigen Neuansatz. Bei den Republikanern ist dies nicht zu erkennen. Man greift – verständlicherweise – auf alte Bestände zurück.

Trifft dieses Urteil auch auf den BFB zu?

ROHRMOSER: Beim BFB ist eine wirklich unglaubliche Diffamierung erfolgreich, die die Partei in die rechte oder sogar rechtsextreme Ecke rücken will, was dem Programm und Charakter des BFB überhaupt nicht gerecht wird. Herr Brunner ist ein absolut integerer Mann, ein hervorragender Jurist und Kenner der europäischen Materie, aber ein charismatischer Politiker ist er nicht und er muß auch erkennen, daß Ein-Punkte-Parteien oder Parteien, die so wahrgenommen werden, nicht gewählt werden, wenn es ernst wird. Das Euro-Thema ist zwar ernst, aber Euro-Skeptiker gibt es auch bei den anderen Parteien.


 
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