© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Peter Schröder: Die Leitbegriffe der Bündischen Jugend
Wandervogel und Bund

von Frank Horeburg

Dem Phänomen der Bündischen Jugend kann man sich auf unterschiedliche Weise nähern: Man erzählt ihre Geschichte in zeitlicher Abfolge oder man wählt einzelne, herausragende Persönlichkeiten aus, anhand derer man das Typische versinnbildlicht. Die dritte Möglichkeit ist, sich der Leitbegriffe der Jugendbewegung zu bedienen, um das Wollen, Wirken und Werden darzustellen. Dieses Verfahren hat Peter Schröder gewählt; seine Ausarbeitung liegt als schmales Buch unter dem Titel "Die Leitbegriffe der deutschen Jugendbewegung in der Weimarer Republik. Eine ideengeschichtliche Studie" vor.

Die Begriffe, an denen sich der Verfasser abarbeitet, treffen das Wesen der Jugendbewegung zielsicher: Jugend und Bewegung, Bund, Führer und Gefolgschaft, Volk und Reich, Sozialismus, Kriegserlebnis und schließlich Naturerlebnis sind seine Kategorien. Merklich versucht Schröder, die Jugendbewegung als ein Phänomen zu beschreiben und zu analysieren, das nicht von 1933 und dem Nationalsozialismus aus gedeutet werden darf, sondern in seiner Eigenheit begriffen und beurteilt werden muß. Häufig weist er darauf hin, daß die Begriffe in der Weimarer Zeit eben nicht unter dem Aspekt des Dritten Reiches gesehen wurden und ja auch nicht gesehen werden konnten, lag es doch noch vor den Zeitgenossen.

Das Buch stellt die wesentlichen Merkmale der Bündischen Jugend heraus und ist faktenreich und faktensicher geschrieben. Die Abgrenzung zwischen der Wandervogelzeit vor dem Ersten Weltkrieg und der bündischen Phase ab etwa 1920 trifft genau: dem eher vagantischen, sehr individualistischen Zug der Vorkriegszeit folgt die starke Hierachisierung mit der Betonung von Zucht und Disziplin nach dem Einschnitt des Krieges. Die Gründe hierfür werden in der Einleitung vollständig benannt: aus dem Vorkriegswandervogel ergibt sich in Deutschland unter besonders starkem Einfluß des Kriegserlebnisses und einem schwächeren Strang der Pfadpfinderbewegung das Phänomen der Bündischen Jugend. Unverständlicherweise taucht diese Gedankenklarheit im Kapitel "Bund" nicht wieder auf: hier fehlt das Kriegserlebnis als entscheidendes Moment gänzlich, und der Strang der Pfadfinder erfährt eine zu starke Betonung. Das Führertum in der Jugendbewegung wird mit einem Zitat trefflich charakterisiert: Der Führer kann "nicht ‘gesetzt’ oder ‘gewählt’ werden, er muß vielmehr aus der Gemeinschaft der Gruppe herauswachsen und auf Grund seiner inneren Überlegenheit, getragen von gegenseitigem Vertrauen und wechselseitiger Freundschaft sein Führertum aufbauen." So zieht sich durch das ganze Werk ein tiefes Verständnis für die Ideen der Bündischen Jugend, das nur erlangt werden kann, wenn der Typus Mensch, der sich in der deutschen Jugendbewegung zusammenfand, erkannt worden ist. Nur so lassen sich auch so interessante Phänomene wie der "Vortrupp", ein jüdischer Bund der Jugendbewegung, erklären. Unter anderen war hier der spätere Professor Hans-Joachim Schoeps führend beteiligt, der als deutscher Jude seinen Patriotismus für Deutschland weder nach 1933 noch nach 1945 verloren hat und deshalb später auch als "jüdischer Altnazi" diffamiert wurde.

Der Zugriff Schröders auf die deutsche Jugendbewegung anhand ihrer eigenen Leitbegriffe öffnet interessante Perspektiven und zeigt, daß die Ideengeschichte mitnichten zu den überholten Ansatzpunkten einer modernen Geschichtsschreibung gehört.

Peter Schröder: Die Leitbegriffe der Bündischen Jugend. Eine ideengeschichtliche Studie, Lit Verlag, Münster1996, 115 Seiten, 24,80 Mark


 
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