© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Katholische Kirche: Immer weniger junge Leute legen das Gelübde ab
Der Zeitgeist ist keine Alternative

von Stefan Lorenz

August 1997: In Paris zelebriert Papst Johannes Paul II. mit mehreren Hunderttausend jungen Leuten das katholische "XII. Weltjugendtreffen". Das konservative katholische Magazin Pur war begeistert: "Wer die katholische Jugend der Welt in Paris erlebt hat, muß realistischerweise einen positiven Ausblick auf die Kirche der nächsten Generation gewinnen." Noch im Februar waren die Töne kritischer: Die Kirche, so Pur damals, habe bei den Jugendlichen in Deutschland "ganz schlechte Karten". "Kirche ist kein Thema", so das frustrierte Pur-Resümee.

Diese pessimistische Sichtweise wurde jüngst durch eine Studie des Berliner Theologen Hans-Peter Jörns wissenschaftlich untermauert. Nur noch 20 Prozent der Bevölkerung glauben demnach an die traditionellen kirchlichen Dogmen. Jörns: "Das ist nur noch ein Bodensatz." Verheerend insbesondere der Glaubensverfall in der jüngeren Generation: Zwei Drittel der 18 bis 30jährigen in den alten und mehr noch in den neuen Bundesländern sind faktisch Atheisten. Schon prophezeit der Spiegel (Dezember 1996), daß es für "Gott
bald keine Mehrheiten mehr geben wird".

Welches Bild aber bietet die Kirche selbst? Von einer jugendlich-vitalen Organisation kann da ganz und gar nicht die Rede sein. In nur einer halben Dekade, von 1991 bis 1995, sank die Zahl der Priester und Ordensleute teilweise erheblich. Die Diözesanpriester hatten in diesem Zeitraum insgesamt einen Rückgang um 4 Prozent auf 16.172 Personen zu verzeichnen, von denen sich aber bereits 24,9 Prozent im Ruhestand befanden. Rapide mutet der Verfall bei Neupriestern und Priesterkandidaten an: ein Rückgang von 29,3 Prozent auf 186 bei ersterer Gruppe stand einer von gar 38,4 Prozent auf 217 Personen bei letzterer gegenüber.

Noch bedenklicher stellt sich die Entwicklung bei den Priesterorden dar, deren Bestand sich um 11,9 Prozent auf 6.020 Mitglieder verminderte. Über ein Drittel (38,6 Prozent) waren bereits 65 Jahre alt oder älter. Nachwuchs ist auch hier nur sporadisch in Sicht: 51 Neupriester (–22,7 Prozent) sowie 262 Klerikerstudenten (–37,9Prozent) geben wenig Anlaß zu Optimismus.

Der völlige Zusammenbruch scheint sich allerdings bei den Frauenorden anzubahnen. Ging deren Gesamtmitgliederzahl um 11,9 Prozent auf insgesamt 38.293 Frauen zurück und wies somit nicht wesentlich veränderte Werte zu denen der männlichen Kollegen auf, befand sich der Anteil der über 65jährigen Frauen auf einer unerreichten Rekordmarke: 60,1 Prozent im Vergleich zu 56,6 Prozent im Jahre 1991 waren 1995 bereits im Rentnerinnen- beziehungsweise im Greisinnenalter. Fast schon überflüssig, gesondert darauf hinzuweisen, daß sich die Zahl der Novizinnen im selben Zeitraum um 35,7 Prozent auf nunmehr 187 verringerte. Es scheint so gut wie sicher, daß hier eine jahrhundertealte deutsche Kulturtradition, die einst so bemerkenswerte Persönlichkeiten wie Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg hervorbrachte, in 20 bis 30 Jahren zum Erliegen kommen wird, wenn nicht noch Entscheidendes geschieht.

Bemerkenswert ist, daß die aktiven, vor allen Dingen die in der Krankenpflege engagierten Frauenorden einen erheblich größeren Rückgang zu verzeichnen haben als die ein Leben in Klausur pflegenden kontemplativen Orden. Diese konnten zwischen 1991 und 1995 sogar einen Zuwachs um 1,8 Prozent auf insgesamt 2.229 Mitglieder registrieren. Nur bei der Zahl der Novizinnen lag die Entwicklung voll im Trend: 51 Frauen, 30,1 Prozent weniger als noch 1991, bereiteten sich 1995 hier auf die Ablegung der Gelübde vor. Kontemplative Orden erweisen sich aber auch bei Männern als stabiler.

Spiritualität, das Streben nach Gottesnähe, scheint demnach auch in unserer heutigen Zeit durchaus noch gefragt zu sein. Bieten sich zum Engagement in der Kirche aber weltliche Alternativen, wie etwa in der Krankenpflege, hat die Kirche zunehmend das Nachsehen. Vielleicht bringt eine Rückbesinnung auf die eigentlichen, vorrangig religiösen Anliegen der Kirche neue Konzepte für die Bewältigung der kommenden Aufgaben mit sich.

Eine Entwicklung hingegen weist eindeutig in die Zukunft: die Zahl der Laien im hauptamtlichen Kirchendienst steigt kontinuierlich an. Die Gemeindeassistenten/-referenten verbuchten 1991 bis 1995 ein Plus von 6,5 Prozent auf 3.923, die Pastoralassistenten/-referenten gar von 26,4 Prozent auf 2.213 Personen. Der Frauenanteil betrug bei letzter Gruppe 31,6 Prozent, bei ersterer gar 80,1 Prozent!

Diese den Bestand der Kirche in Deutschland in seiner bisherigen Form existentiell gefährdenden Entwicklungen sind der Kirchenführung zwar nicht unbekannt. Doch wie soll man darauf reagieren? Eine denkbare Möglichkeit, den Zölibat abzuschaffen, ist praktisch nicht durchsetzbar. Außerdem scheint es durchaus nicht sicher, ob der Zölibat an allem schuld ist. Ein anderes, allerdings eher passives Gegenkonzept hat jüngst der Rheinische Merkur (36/1997) unter dem Titel "Mutige Not-Lösungen" vorgestellt. An das Zweite Vatikanum anknüpfend, nach dem die "Ortsgemeinschaften der Gläubigen selbst Kirche Christi" seien, wird offen die Frage gestellt, ob eine Gemeindeleitung in jedem Fall mit dem Priesteramt verbunden bleiben müsse. Die Leitung einer Gemeinde könne auch ein "Pastoralteam", bestehend aus hauptamtlich im Kirchendienst befindlichen Laien, übernehmen. Dieser Praxis, die schon seit etwa 30 Jahren gepflegt wird, könnte in Zukunft eine noch größere Bedeutung zukommen. Den verbliebenen Priestern würde nach diesem Modell künftig im wesentlichen die Aufgabe zufallen, Hostien zu konsekrieren, eine Tätigkeit, die für Laien nach kirchlicher Lehre ja nicht durchführbar ist.

Wie wird das katholische Leben in Deutschland in 25 oder gar 50 Jahren aussehen? Ist die Kirche dazu verurteilt, dieser Entwicklung tatenlos zuzusehen und nur ihren Rückgang in den wohlhabenden Ländern zu verwalten? Es mehren sich auch in der katholischen Kirche die Stimmen, die zu einer spirituellen Umkehr rufen.

Aber es gibt auch Beispiele, die hoffen lassen. So hat Abt Stephan Schröer von der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Zulauf zu verzeichnen. 70 Prozent der insgesamt 71 Mönche seiner Abtei sind unter 40 Jahre alt. Abt Schröer zur jungen freiheit: "Die Spiritualität wird in unserer Abtei besonders gepflegt. Zu uns kommen vor allem kritische und begabte junge Leute." Ein Beispiel, das Schule machen könnte. Denn, so Schröer, neue spirituelle Konzepte tun not: "Eine gesunde Spannung zwischen den religiösen Lebensformen muß aufgebaut werden. Einseitigkeiten und Anbiederei an Modeströmungen sollte man vermeiden


 
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