© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Weikersheimer Hochschulwoche: Diskussion über Ideenbewegungen
Honoratioren-Stelldichein

von Frank Lisson

Das sich als "freiheitlich-konservative Denkfabrik" verstehende Studienzentrum Weikersheim (SZW) will auch im 21. Jahrhundert "problemorientiert und ideologiefrei" bei der Erneuerung Deutschlands und Europas mitwirken. Hierzu kamen vom 21. bis 26. September wieder über hundert Studenten und Dozenten aus elf europäischen Ländern zur 6. Weikersheimer Hochschulwoche in dem kleinen baden-württembergischen Kurort zusammen, um in Vorlesungen und Seminaren über die "Zukunftsfähigkeit geistig-politischer Ideenbewegungen in Europa" zu diskutieren.

Die diesjährige Hochschulwoche stand noch im Zeichen zweier personaler Veränderungen. Nachdem bereits im Mai 1997 der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Freiherr von Stetten zum neuen Präsidenten des Studienzentrums gewählt worden war und damit den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, in diesem Amt abgelöst hatte, wechselte nun auch die Geschäftsführung. Für den seit 1982 amtierenden Albrecht Jebens übernahm der bisher in Weikersheim erst wenig in Erscheinung getretene Andreas Bombel die Organisation kommender Hochschulwochen. Hintergrund dieses Wechsels ist die geplante Schließung der Geschäftsstelle in Stuttgart. Nicht ohne herzliche Ergriffenheit und unter großer Sympathiebekundung seitens der Teilnehmer verlief der Abschied von Jebens, der sich des aufrichtigen Dankes aller Anwesenden sicher sein konnte.

Befürchtungen, wonach dem Personalwechsel auch ein Kurswechsel folgen würde, erklärte das Vorstandsmitglied Lothar Bossle in einer anschließenden Aussprache für gegenstandslos. Bossle sieht keinen "Kontinuitätsbruch" in dem Wechsel, sondern nur einen "Übergang in jüngere Hände".

Zwar hatte Wolfgang von Stetten bereits im Mai erklärt, mit ihm werde das Studienzentrum eine mehr liberal-konservative als national-konservative Richtung einschlagen, und auch aus seiner Begrüßungsrede wurde diese Absicht deutlich, als er betonte, daß sich das SZW als ein "Katalysator zwischen Wirtschaft und Politik", als eine Ideen-Agentur" verstehe, die "eine Ware anbieten will, die marktfähig ist". Dennoch verteidigte Stetten die Teilnahme zweier Referenten, die zuvor von der Presse als "politisch unkorrekt" geoutet worden waren und trat damit zunächst jenen Befürchtungen entgegen, das Studienzentrum werde sich in Zukunft von der veröffentlichen Meinung seine Standpunkte diktieren lassen.

Zu den "unbequemen" Referenten zählten vor allem der Militärhistoriker Heinz Magenheimer von der Landesverteidigungsakademie Wien und der Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter von der Universität Bonn. Knütter diagnostizierte in ebenso temperamentvoller wie klarer Weise eine "Vergiftung" der derzeitigen geistig-politischen Kultur in Deutschland, deren Opfer er durch die Darstellung dieser Verhältnisse schließlich selbst geworden war, wie die Ausgrenzungsversuche der etablierten Presse zeigten.

Als Ursache dafür stellte Knütter ein "Klima der Diffamierung und begrifflichen Manipulation in Deutschland" fest, in dem "Worte als Waffen dienen". Möglich konnte dies nur werden, so der Politikwissenschaftler, weil wir in einer Zeit des Wandels von gesellschaftlichen und politischen Werten und Strukturen leben. Das Establishment fühle sich in seiner Position bedroht und reagiere deshalb mit der Stigmatisierung und Ausgrenzung seiner vor allem konservativen Kritiker, um sich so vor Veränderung und der eigenen Abwahl zu schützen.

Hierin liege eine Bedrohung des öffentlichen Friedens, weil die Regierenden leichtfertig jeden Oppositionellen mit dem Makel "Extremist" behaften, ohne seine tatsächliche Einstellung zur Verfassung zu prüfen. Denn per Definition dürfe nur der als Extremist bezeichnet werden, der eine "aktiv-kämpferische Haltung gegen die Verfassungsordnung" erkennen ließe. Eine ernst zu nehmende Gefahr für die Demokratie in Deutschland sah Knütter dagegen in den Aktivitäten der linksextremistischen Parteien und Organisationen, da diese im Gegensatz zu den rechtsextremistischen immer mehr an politischem Einfluß zu gewinnen drohten und das politische Klima mehr denn je von ihnen und ihren "demokratischen" Sympathisanten bestimmt werde. Neben dem politischen Extremismus stand die Ideengeschichte des Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus im Mittelpunkt der Hochschulwoche.

Lothar Bossle, Soziologieprofessor in Würzburg, zeichnete einen Grundriß der Geschichte des Sozialismus, während der Politologe Konrad Löw aus Bayreuth eindrucksvoll die (Fehl-)Wirkungen des kommunistischen Manifestes beleuchtete. Klaus Hornung von der Universität Hohenheim gab einen Überblick über die Ideengeschichte des Konservatismus von 1789 bis zur "Krise der Moderne". Über die Grundlagen des Liberalismus sprach der Politologe Christoph Zeitler aus Landshut und über die christlich-demokratischen Parteien in Europa seit 1945 Winfried Becker von der Universität Bayreuth. Den Festvortrag hatte am Sonntag bereits der frühere italienische Botschafter in Bonn, Vittorio Ferraris, über Europas Wurzeln im Christentum gehalten. Schließlich kam noch durch die Übersetzerin Heddy Pross-Weerth aus Mannheim die Staatstheorie und Geschichtsauffassung Solschenizyns zur Sprache.

Einig waren sich die meisten Redner der Hochschulwoche darin, daß dem immer noch zunehmenden Werte- und Sinnverlust – vor allem innerhalb der deutschen Gesellschaft – neue Ideen und Wertvorstellungen entgegengebracht werden müßten, die an dem geistigen Erbe Europas anknüpften und die bewirkten, daß wieder Zustände geschaffen werden, deren Erhaltung sich lohne. Dabei, so wurde betont, wolle das Studienzentrum Weikersheim auch weiterhin allen "geistigen Verführern von rechts wie links" entgegentreten und jene geschichtlichen Verzerrungen bekämpfen, die eine bloße Dämonisierung des Nationalsozialismus, jedoch eine Verharmlosung des Kommunismus betreiben. Die Verpflichtung zur geschichtlichen Wahrheit, auch wenn sie unbequem sein sollte, werde einen Schwerpunkt im Wirken des Studienzentrums bilden.


 
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