© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/97  10. Oktober 1997

 
 
Bosnienflüchtlinge: Das Geld täte der Heimat gut
Ans Nichtstun gewöhnt
Von Burkhard Willimsky

Von den rund 345.000 Bosniern, die seit 1992 nach Deutschland gekommen sind, kehrten bis Ende September erst 75.000 freiwillig zurück; das sind knapp 22 Prozent. Nur 610 Bosnier (0,18 Prozent) wurden bisher abgeschoben. Fast 80 Prozent der bosnischen Kriegsflüchtlinge leben also weiterhin in Deutschland.

Allein in Berlin halten sich noch rund 34.000 Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf, davon 26.000 aus Bosnien. Etwa 6.000 Bosnier (15 Prozent) sind bisher freiwillig zurückgekehrt, 46 (0,12 Prozent) wurden abgeschoben. Fast 12.000 Bosnier klagten vor dem Verwaltungsgericht gegen ihre mögliche Abschiebung bzw. stellten einen Asylantrag. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts droht jetzt eine zusätzliche Prozeßlawine zur Ausstellung von von Duldungspapieren (die junge freiheit berichtete) auf die Gerichte zuzurollen. Bereits heute stauen sich allein bei den 37 Kammern des Berliner Verwaltungsgerichts bis zu 40.000 unerledigte Verfahren. Selbst die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) sieht ihre vielfältigen Integrationsbemühungen nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Scheitern verurteilt, wenn "nicht mehr der Gesetzgeber bestimmt, wie lange sich ein Mensch in Deutschland aufhält, sondern der Zuwander selbst oder das Herkunftsland". Warum aber sind die längst überfälligen Gesetzesänderungen bisher nicht erfolgt?

Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben selbst illegal sich in Deutschland aufhaltende Ausländer, die nur ins Land kamen, um hier Sozialhilfe zu beanspruchen, einen Rechtsanspruch auf Unterhalt, Verpflegung und medizinische Versorgung – ohne daß Ausweisdokumente vorgelegt werden müssen.

Mittlerweile hat sich die ursprünglich humane Zielsetzung längst für alle sichtbar ins Gegenteil verkehrt. Die konzeptionslosen Aufnahme- und Bleibebedingungen durch Bund und Länder zeigen eine Reihe von negativen Auswirkungen: Erstens führen sie zu unhaltbaren Zuständen für die in Deutschland noch lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge. Zweitens verzögern und blockieren sie den Wiederaufbau in Bosnien. Während viele Bosnier zuerst bei Verwandten und Bekannten Aufnahme fanden, leben sie heute überwiegend in Heimen. Knapp ein Viertel ist inzwischen in Wohnungen eingewiesen worden. Diejenigen, die in Heimen untergebracht sind, verlangen in zum Teil aggressiver Form bei den Sozialämtern die Überweisung in Wohnungen oder in bessere Einrichtungen. Die Anspruchshaltung besonders vieler jüngerer Männer wird größer, je länger sie in Deutschland leben. Viele erfahren die Sozialhilfe als ein arbeitsloses Einkommen – und gewöhnen sich daran.

Nach Aussagen der Berliner Ausländerbeauftragten demotiviere der deutsche Streit um das Rückkehrdatum und das Ausharren in Deutschland vor allem jüngere Bosnier im eigenen Heimatland, die die Greueltaten überlebt haben. Sie verkraften die tatenlose Situation in Bosnien nicht mehr, fühlen sich von den geflüchteten Landsleuten regelrecht im Stich gelassen und überlegen, ob sie jetzt nicht auch auswandern sollen. Warum wurden nicht schon im vergangenen Jahr Fachpersonal und junge bosnische Flüchtlinge zurückgeschickt, um mit dem Aufbau zu beginnen und die dafür notwendigen Strukturmaßnahmen einzuleiten? Warum wurden viele hundert Millionen DM für unproduktives Nichtstun vergeudet, statt in den Wiederaufbau zu investieren?

Drittens trägt die Konzeptionslosigkeit in der Praxis auch zumindest indirekt zum Sozialabbau einkommensschwacher Bevökerungsgruppen bei. So muß allein Berlin mehrere hundert Millionen Mark jährlich für die bosnischen Flüchtlinge aufbringen. Sowohl der Bund als auch die unterproportional belasteten Länder weigern sich strikt, für einen fairen Finanzausgleich zu sorgen. Fehlende erkennungsdienstliche Maßnahmen für Flüchtlinge sowie ein fehlender Datenverbund verleiten einige Flüchtlinge zu erheblichen kriminellen Handlungen, deren Gesamtschaden in die Millionen geht. Aufgrund fehlender Regelungen sind die einzelnen Sozialämter gegen diesen Mißbrauch macht- und hilflos.

Wer soll angesichts dieses grob fahrlässigen Finanzgebarens begreifen, daß heute diverse Einrichtungen im Jugend-, Familien- oder Seniorenbereich, im Bereich der Haftentlassenen oder der Obdachlosen oder in der Mieterberatung für einkommensschwache Bürger geschlossen werden bzw. Kürzungen erfolgen, die eine weitere Arbeitsfähigkeit dieser Institutionen in Frage stellen.

Die Auswirkungen der heute praktizierten Flüchtlingspolitik sind kontraproduktiv, wenn man bedenkt, daß der gesamte Entwicklungshilfe-Etat im Bundeshaushalt mit etwa acht Milliarden Mark gerade mal so hoch ist wie die Ausgaben allein für die bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland. Die Asylproblematik hat gezeigt, daß Lösungen um so schwieriger und problematischer sind, je länger eine Laissez-faire-Politik betrieben wird.


 
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