© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Nobelpreis für Literatur: Fos Theater lebt aus dem Vortrag, nicht aus der literarischen Substanz
Klatsch, Platsch, flutsch, boing!

Eine Frau wird es wahrscheinlich nicht", mutmaßte die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter einen Tag vor der Preisverleihung. "Ebensowenig wohl ein Europäer oder ein Poet." Die Wege, die zur Verleihung des Literaturnobelpreises führen, sind oft dunkel und unergründlich.

Das Schwedische Institut in Stockholm, bestehend aus 18 Mitgliedern, von denen nur 13 aktiv sind, Präsidenten einer anerkannten nationalen Schriftstellervereinigung, frühere Literaturnobelpreisträger sowie Professoren für Literatur und Linguistik, haben, wie jedes Jahr seit 1901, den Nobelpreis für Literatur vergeben. Unter den Vorgeschlagenen aus einer Liste von etwa 200 Autoren mochten sich Peter Handke oder Günter Grass, der Niederländer Cees Nooteboom oder der Albaner Ismail Kadare Hoffnungen gemacht haben – oder, wie so viele Male vorher, Norman Mailer, John Updike oder Philip Roth.

Das Komitee entschied anders. Dario Fo heißt der diesjährige Nobelpreisträger, ein Schauspieler und Stückeschreiber. 1926 in San Giano am Lago Maggiore in ein politisch links geprägtes Elternhaus geboren, beginnt er mit 15 Jahren in Mailand ein Studium der Architektur und der Malerei, das er aber abbricht. Seit 1952 schreibt er fürs Theater Revuen und "volkstümliche Farcen".

1968, als die Studenten auf die Straße gehen, bricht der überzeugte Kommunist Fo daraufhin mit dem "bürgerlichen" Theaterbetrieb und und gründet eine eigene Truppe. Die schließt sich der A.R.C.I. an, einer Kulturorganisation der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Damals formulierte er sein Theaterkonzept: "Der politische Kampf muß sein Äquivalent auf kultureller Ebene finden, der Intellektuelle muß … sich konkret in die Praxis einfügen, … in der er auch als Intellektueller seine besondere Stellung im Klassenkampf findet." Also frei nach Antonio Gramsci: Sein Theater soll die kulturelle Hegemonie der bürgerlichen Kultur überwinden und an ihre Stelle eine neue proletarische Kultur setzen. Ein Konzept, das auch viele hochsubventionierte Theater in Deutschland verfolgen.

Seit 1970 entfernt sich Fo von der PCI, weniger, weil diese sich in seine Arbeit einmischt, sondern weil sie ihm zu lasch, zu "revisionistisch" geworden ist. Lahmer "Eurokommunismus" oder gar einen compromeso storico der PCI mit den bürgerlichen Christdemokraten sind nicht sein Fall. Er lehnt sich seitdem politisch an die extreme und militante Linke an, etwa an Gruppen wie die "Lotta continua", ein Pendant des deutschen Kommunistischen Bundes, an die "Avanguardia operaia" (Arbeiter-Avantgarde) oder die "Potere operaio" (Arbeitermacht). Seine neue Gruppe heißt nun "La Comune", benannt nach der Pariser Kommune, deutlichster Ausdruck für sein parteiisches kommunistisches Theater, das zwar immer wieder behauptet, kein bloßes Agitprop-Theater zu sein, was es aber seiner Funktion nach natürlich doch ist.

Sympathien bestehen auch zur Brigate Rosse, dem italienischen Pendant der deutschen Rote Armee-Fraktion, deren Mitgliedern Fos Frau, Franca Rame, bis heute als Leiterin des Mailänder "Soccorso Rosso" (Rote Hilfe) militant unterstützend zur Seite steht. 1978 reist Fo als Mitglied einer Delegation nach Deutschland, um die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen anzuklagen und die "angeblichen Selbstmorde" (Fo) der Terroristen anzuprangern. Später schreibt er zusammen mit seiner Frau ein Stück über den Tod Ulrike Meinhofs: "Ich, Ulrike, schreie", in der wie selbstverständlich die Mordthese vertreten wird. Fos politische Vorbilder sind der italienische Kommunist Gramsci und Mao Tse-tung. Fos Selbstverständnis ist das der Unterstützung der systematischen Verschärfung des Klassenkampfes. Der Künstler solle dem Proletariat helfen, "ein ehrliches Klassenbewußtsein zu entwickeln; er bewaffnet es für den Kampf; er trägt dazu bei, eine neue Sprache, eine revolutionäre Kunst aufzubauen" (Fo). Das ist der Sinn des "Militanten Theaters", das Fo vorschwebt.

Es ist aber auch "Theater zum Verbrennen", wie er es genannt hat, das heißt, es ist nur einer bestimmten politischen Situation gültig und wird später laufend einer veränderten Situation angepaßt. So wird auf der Bühne improvisiert, geulkt. Es werden aus dem Stehgreif Possen gerissen. Je näher das am Publikum ist, am vermeintlichen "Arbeiter", desto besser. Als stilistisches Mittel sei dazu vor allem die volkstümliche Farce geeignet. Auch das meistgespielte Stück Fos in Deutschland "Bezahlt wird nicht!" (Non si paga! Non si paga!") gehört zu diesem Genre. Es ist wohl auch deshalb bei der deutschen Linken so beliebt, weil es vom Konsumterror eines Supermarktes handelt, in dem die Kunden eines Tages beschließen, "zivilen Ungehorsam" zu leisten und nicht mehr zu bezahlen.

Volkstümliches Theater, das, so Fo, tendenziell rebellisch ist, schließt aber offenbar fast auch immer eine Art Mickymaussprech ein: "Zäsch!… Zack! Zack!… Tack, zisch, boing, iiiing!…" (Hohn der Angst, 1981) "Usch, usch… Krack… Patsch!… Tschum tschum tschum… Klatsch, Platsch, Flutsch… Plotsch, Plotsch, Plotsch… Blimm, blumm, blomm…" (Geschichte einer Tigerin, 1980) oder "Flutsch, Fladutsch!… Flutsch!… Flopp!… Schrumm, schrumm… Ratatatat!" (Obszöne Fabeln, 1982).

Das Nobelpreiskomitee – und fast alle haben das brav wiederholt – hat in seiner Laudatio besonders zu rühmen gewußt, daß Fos Werk unter dem besonderen "Einfluß der Commedia dell’arte sowie Majakowskis und Brechts" stehe. Fo selber lehnt jedoch die Commedia dell’arte als eine zu bürgerliche Kunstform ab. Mit Brecht und Majakowski verbindet ihn zweifellos der Kommunismus, nicht aber das schriftstellerische Talent. Fos Stücke leben vor allem aus dem Vortrag, nicht aus der literarischen Substanz. Wie weit weg er von Brecht ist, hat er selbst gesagt: Brecht habe gesagt, der Schauspieler müsse in der dritten Person spielen. "Das ist ein bißchen schwer zu verstehen, vor allem für die Schauspieler, denn ‘in der Figur sein, ohne drin zu sein’, ‘Spiegel sein’ … er wird verrückt und wechselt den Beruf!" Noch ein Mißverständnis des Komitees?

Als sein stilistisches Vorbild bezeichnet Fo eher das mittelalterliche Theater der Giullare (Joculatores), das er seit seinem antikirchlichen Stück "Mistero Buffo" immer wieder verwendet. Fo sei der "mittelalterliche Gaukler, der die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet", wie das Nobelpreiskomitee es höchst lyrisch formuliert. Allerdings ändert Fo seine "mittelalterlichen" Stücke so lange, bis sie in sein politisches Weltbild passen. Als "Fälschungen" hat er daher sogar selbst solche Stücke bisweilen bezeichnet. Zu Recht. Die Sprache ist ein Mischmasch aus selbstentworfenen archaisierenden Dialekten, die das sprachgeographische Kauderwelsch mittelalterlicher herumziehender Gaukler imitieren soll.

Auch seine in "Mistero Buffo" ausgebreiteten Vorstellungen über mittelalterliche Kultur sind bisweilen lustig zu lesen, von allzu großer Sachkenntnis sind sie jedoch nicht immer getrübt. So interpretiert er ein mittelalterliches Mosaik zweier Militionäre in seinem Buch "Mistero Buffo" als "zwei Spielleute, die sich als Milizen verkleidet haben". Warum? "Das sieht man an der theatralischen Darstellung ihrer Gesten." Tatsächlich handelt es sich dabei um eine für das hohe Mittelalter typische Darstellung, in denen die Gestik der Hände ein Symbol für eine Absicht oder ein Gefühl des Dargestellten bedeuten. "Mittelalterkenner" Fo scheinen solche Erstsemesterkenntnisse allerdings vollkommen abzugehen.

Der Humor in Fos Stücken, insbesondere in den sich volkstümlich gebenden, ist, wie seine Stücke überhaupt, ein Wegwerfprodukt. Einer Situation angepaßt, danach oft abgestanden und schal. Besonders unangenehm sind die in ständig in allen Stücken sich wiederholenden, meist plumpen Obszönitäten und gewollten Blasphemien, die sich in einem sich volkstümlich gerierenden, pseudomittelalterlichen Hanswurst-Humor präsentieren.

Daß die Zeitung des Vatikan, L’Osservatore Romano, die Verleihung des Literaturnobelpreises an einen bekennenden Kommunisten, Atheisten und Anti-Katholiken kritisieren würde, war vorherzusehen. Aber daß die Reaktionen gerade in Italien – natürlich mit Ausnahme des kommunistischen Organs L’Unità – so kritisch ausfielen, erstaunt doch. Umberto Eco nannte die Entscheidung "eine Ohrfeige für die akademische Kultur", und Italiens bekannter Literaturkritiker Giulio Ferroni meinte: "Diese Wahl zeigt, daß die Literatur für niemanden mehr wichtig ist."

Die Entscheidung des Komitees ist eindeutig eine Fehlentscheidung. Liest man die fast nichtssagende Begründung, dann könnte man glauben, diejenigen, die den Preis dieses Jahr vergeben haben, hätten vom Laureaten noch nie etwas gelesen. Über die politischen Zusammenhänge fällt natürlich bis auf einige verschleiernde Wendungen kein Wort. Es entsteht der Eindruck, einige jüngere Mitglieder des Komitees hätten die teilweise schon recht bejahrten Mitglieder überrumpelt.

Nach dem erweiterten Kunstbegriff – jeder ist ein Künstler – ist jetzt wohl die Arbeit am erweiterten Literaturbegriff angesagt. Warum nicht, wie schon einige schwedische Zeitungen am Vorabend der Entscheidung vorschlugen, Bob Dylan als Literaturnobelpreisträger? Warum nicht auch Heinz Erhardt, Konstantin Wecker, Friedrich Küppers-busch, Wigald Boning oder Zirkus Roncalli? Seit einer Woche spräche wohl nichts mehr dagegen. Der Literaturnobelpreis beginnt, sich selbst ad absurdum zu führen.

"Ich bin bestürzt!", soll Dario Fò ausgerufen haben, als er von der Verleihung des Preises erfuhr. Dem kann man sich nur anschließen.


 
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