© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Laurenz Demps/Carl-Ludwig Paeschke: Das Hotel Adlon
Neugeburt einer Legende
von Werner Seidel

Am 23. August, eine Woche vor der Internationalen Funkausstellung, öffnete es pünktlich seine Pforten: das neue Hotel Adlon am Brandenburger Tor. Berlins erste Adresse will das Haus Unter den Linden, Ecke Pariser Platz werden, eine Art inoffizielles Regierungsgästehaus. Über dem Foyer wölbt sich eine blau-goldene Glaskuppel, darunter plätschert ein Brunnen, der nach dem Vorbild des alten Adlon gestaltet wurde. Auch die mit Blattgold ausgelegten Kassettendecken und die Außenarchitektur erinnern an den legendären Vorgängerbau, der 1945 zu großen Teilen ausbrannte. Die Anlehnung an das historische Vorbild rief allerorten jene Sittenhüter auf den Plan, die mit Tradition und Geschichte nach wie vor auf Kriegsfuß stehen. "Hemmungslos kopiert" habe das Berliner Architekturbüro Patzschke, Klotz & Partner das alte Adlon, ereiferte sich eine Hamburger Wochenzeitung. Unausgesprochen versteckt sich hinter solchen Verdikten wohl die Befürchtung, daß jede Wiederbelebung eines historischen Symbols hierzulande ein weiteres Stück Normalität bedeutet und der zerknirschte deutsche Selbsthaß bröckelt, von dem es sich als Meinungsmacher so komfortabel leben läßt.

Daß es auch beim Bau des alten Hotels viel Geschrei und Gezeter gab, ist in der Adlon-Story nachzulesen, die rechtzeitig zur Hoteleröffnung der an der Humboldt-Universität lehrende Architekturhistoriker Laurenz Demps und der Fernsehautor Carl-Ludwig Paeschke vorgelegt haben. Kaiser Wilhelm II. persönlich sorgte dafür, daß der aus Mainz stammende Weinhändler, Gastwirt und Hotelpächter Lorenz Adlon das Grundstück erwerben konnte. Der Kaiser tat das nicht ganz uneigennützig: er fand sein Berliner Schloß zu ungemütlich und schlecht zu heizen, das Hofzeremoniell zu steif. Das auf dem Grundstück stehende Palais Redern von Karl Friedrich Schinkel fiel trotz vieler Proteste der Spitzhacke zum Opfer. Adlon investierte die astronomische Summe von 17 Millionen Mark, etwa 700 Millionen Mark nach heutigem Geldwert. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Als Sensation galt, daß in dem Prunkbau für 260 Zimmer 110 Bäder zur Verfügung standen und in jedem Zimmer ein Telefon vorhanden war. Gleich nebenan hatte Adlon einen riesigen Weinkeller angelegt. Rauschenden Festen stand nichts mehr im Wege. Ein Haus "vornehmsten Stils", lobte das Berliner Tageblatt. Am 9. November 1918, als man in Berlin die Republik ausrief, wurde Adlon am Brandenburger Tor von einem Auto mit rebellierenden Soldaten angefahren. Im Frühjahr 1921 erlitt er einen ähnlichen Unfall und starb an dessen Folgen.

Sohn und Erbe Louis Adlon machte wenige Jahre später von sich reden, als er sich von seiner Frau, mit der er fünf Kinder hatte, scheiden ließ. Seine zweite Frau, Hedda Adlon, schrieb später die Geschichte der Nobelherberge, die in den 50er Jahren erfolgreich verfilmt wurde. Einige der prominenten Hotelgäste tauchen auch auf den Seiten des Buches von Demps/Paeschke auf: Ernst Lubitsch, Edgar Wallace, Richard Tauber, Charlie Chaplin. Daneben haben die Autoren ehemalige Bedienstete ausfindig gemacht und interviewt; Köche oder Pagen wie Peter Frankenfeld, den späteren Fernsehmann. Der flog schon bald wieder aus dem Hotel: bei einem Diner für den Reichspräsidenten Hindenburg und sein Gefolge Anfang der 30er Jahre hatte er an den Eisbomben genascht, die als Dessert für die Prominenz bestimmt waren.

Der Krieg schien zunächst einen Bogen um das Adlon zu machen. Noch im Frühjahr 1945, als ringsum schon die Stadt in Scherben lag, "war alles in Ordnung. Keine Fensterscheibe war kaputt, die Teppiche lagen, Warm- und Kaltwasser liefen, die Telefonzentrale war besetzt. Noch zwölf Gäste waren im Haus", erinnert sich der Schweizer Walter Storz, damals stellvertretender Empfangschef. Dann kamen die Russen. Sie verhafteten Louis Adlon in seinem Landhaus Neufahrland bei Potsdam und brachten ihn um. Einige Rotarmisten sprengten mit einer Handgranate den Zugang zum Weinkeller auf und betranken sich. Dann soll einer eine brennende Zigarette in die Holzwolle geworfen haben, die zur Verpackung der Flaschen im Keller lagerte. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai brannte das Hotel bis auf die Grundmauern ab.

Ein Seitenflügel aber blieb stehen und wurde nach dem Krieg wieder als Hotel genutzt. Die Pagen trugen die alte blaue Uniform. Sogar ein Wiederaufbau war geplant. Erst Anfang der 70er Jahre wurde das nahe der Sektorengrenze stehende Hotel dichtgemacht. Seine Geschichte schien unwiderruflich zu Ende… Im Tresor der Kempinski AG aber lagerte seit Mitte der 50er Jahre ein Papier, das der Firma ein Vorkaufsrecht auf das Adlon und das zugehörige Grundstück sicherte, falls sich eines Tages die Möglichkeit bieten sollte, das Hotel neu zu errichten. Die in Not geratene Witwe Hedda Adlon hatte den Vertrag geschlossen, um sich finanziell abzusichern.


Laurenz Demps/Carl-Ludwig Paeschke: Das Hotel Adlon, Nicolai, Berlin 1997, 144 Seiten, 73 s/w und 20 farbige Abb., geb. mit Schutzumschlag, 78 Mark
 
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