© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/97  24. Oktober 1997

 
 
Südtirol: Weitere sieben Monate Haft für die Freiheitskämpferin Karola Unterkircher
Unglaubwürdiger Belastungszeuge
von Jakob Kaufmann

In der vergangenen Woche ist das Urteil des Berufungsverfahrens gegen die Südtiroler Freiheitskämpferin Karola Unterkircher hinterlegt worden. Zusätzlich zu ihrer zehnjährigen Haftstrafe muß sie nun noch sieben weitere Monate in einem Mailänder Frauengefängnis verbringen. Das Urteil, das im November 1994 gefällt wurde, hat das Bozener Berufungsgericht am vergangenen 2. Oktober bestätigt.

Der 51jährigen Österreicherin wird zur Last gelegt, sie habe am 4. November 1984 zusammen mit zwei weiteren Aktivisten einen Strommasten im Südtiroler Oberplars in der Nähe von Meran gesprengt. Bereits 1992 ist Karola Unterkircher zu zehn Jahren Haft wegen der Mithilfe bei verschiedenen Anschlägen von "Ein Tirol" in Abwesenheit verurteilt worden. Das Innsbrucker Landesgericht dagegen sprach Karola Unterkircher 1992 von dieser Anklage wegen erwiesener Unschuld frei. Der Landeshauptmann von Tirol, Wendelin Weingartner, meinte, das Gericht sei zu diesem Entschluß gekommen, "weil man davon ausgegangen ist, daß der italienische Geheimdienst hinter den Attentaten gestanden ist". In der Tat erreichten die Attentate der Terrorgruppe "Ein Tirol", die sich zu den oft brutalen Anschlägen bekannte, genau das Gegenteil der Ziele, die sie vorgab zu verfolgen: die dauerhafte Stärkung der italienischen Rechten war die Folge.

In der Urteilsbegründung der vergangenen Woche heißt es, Karola Unterkircher hätte den Anschlag auf den Masten bei Meran mitgeplant, den Sprengstoff, neun Kilo TNT, aus Österreich über die Brennergrenze geschafft und den Sprengsatz dann mit den beiden anderen am Masten angebracht. Das Gericht meinte darüber hinaus, die gebürtige Schwäbin Unterkircher habe sich bei ihrer Einvernahme widersprochen. Sie habe ausgesagt, daß sie die Mittäter Adalbert Holzner und Karl Zwischenbrugger an jenem 4. November 1984 eher zufällig auf der Staatsstraße bei Gossensaß angetroffen und dann mitgenommen habe. Zuvor habe sie aber das Gericht glauben gemacht, daß sie sich zusammen zu der Reise nach Südtirol verabredet hätten. In der Urteilsbegründung steht weiterhin, es gebe keinerlei Hinweise, daß die Ermittler dem Belastungszeugen Holzner für seine Aussage gegen Karola Unterkircher Gefälligkeiten angeboten hätten. Seine Darstellung sei glaubwürdiger als die Version der Aktivistin. Die Wahltirolerin betonte immer wieder, sie sei in jener Novembernacht nur dabei gewesen, wie sie die Flammenschrift "Los von Rom" auf einem Berg bei Meran anbrachten. Auch der Attentäter Karl Zwischenbrugger bestätigte, seine Bekannte Karola Unterkircher habe von der Sprengung nichts gewußt. Das mag stimmen oder nicht, belastende Beweise gibt es nicht. Holzners Angaben sind jedoch zweifelhaft: Seine Aussagen über die Attentate der Terrorgruppe "Ein Tirol" um Karl Zwischenbrugger hat er seit seinem ersten Verhör im November 1984 ständig verändert und widerrufen. 28 Widersprüche wurden in seinen Äußerungen vor Gericht festgestellt. Im "Ein Tirol"-Prozeß von 1992 belastete Holzner nur Zwischenbrugger und Außerer.

Erst 1994 beschuldigte er auch Karola Unterkircher, den Masten mitgesprengt zu haben. In Briefen aus der Haft schrieb der Kronzeuge, daß ein dicker, spitzbärtiger Carabiniere namens Nocito sein Aussageprotokoll verfaßt hätte.

Nach Holzners Beschreibung handelt es sich dabei um Piernicola Nocito, dem nachgesagt wird, er arbeite nebenbei verdeckt für den militärischen Nachrichtendienst Italiens, Sismi. Beim Verhör im November 1984 auf die Aktionen von "Ein Tirol" angesprochen, habe Holzner einfach behauptet, er wüßte über den Anschlag Bescheid. Das beteuerte er immer wieder in seinen Schreiben aus dem Gefängnis. Er hoffte, wenn er den Ermittlern helfe, würden sie andere gegen ihn erhobene Anklagen fallenlassen: Holzner war schon 21fach wegen kleinerer Delikte wie Diebstahl und Amtsbeleidigung vorbestraft. Er schwor, Nocito hätte Namen in das Verhörprotokoll gebracht, die er nie zuvor gehört hatte. Zu diesen Namen zählte auch der Gerhard Pfeffers, eines Burschenschafters aus Linz.

Aufgrund des Protokolls wurde er 1987 zu einer fast sechsjährigen Freiheitsstrafe in Abwesenheit verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hingegen sah Pfeffers Unschuld als erwiesen an und verurteilte Italien deswegen 1993 wegen eines schweren Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Auch die näheren Umstände der Festnahme Karola Unterkirchers am 14. August 1994 sind zweifelhaft. Enthüllungen des ORF-Journalisten Bertram Wolf zeigen, daß die Verhaftung die österreichische Souveränität verletzte. Die italienischen Sicherheitsbehörden hatten immer behauptet, die Österreicherin bei einer Wanderung am Timmelsjoch auf Südtiroler Boden verhaftet zu haben.

Der ORF-Journalist entdeckte aber den abgerissenen Anhänger von Karola Unterkirchers Halskettchen sowie einige Haare am Timmelsjoch auf österreichischem Gebiet. Die Funde deuten auf einen Kampf hin: Karola Unterkircher wurde offenbar über die Grenze verschleppt. Auf italienischer Seite filmte der Journalist eine provisorische Steinmauer, die wohl einen anderen Grenzverlauf suggerieren sollte. Die falsche Grenze war vermutlich eine Falle. Karola Unterkirchers Bekannter Luis Öttl hatte sie zu diesem Grenzgang überredet. Woher hatte die Terror-Spezialeinheit der Carabinieri erfahren, daß die Verurteilte just an jenem Augusttag dort oben wanderte? Diese Frage ist immer noch ungeklärt.


 
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