© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Wirtschaftskris, Börsenkrach: Vorboten des globalen Marktes
Es wird alles besser
von Michael Oelmann

Für die Regierung und ihre Wahlkampfanstrengungen dürfte es reichen, was die Herbstgutachten führender Wirtschaftsinstitute an Zahlen vorgelegt haben – aber reicht es auch langfristig für Deutschland? Ein mäßiges Wachstum (2,4 % in diesem, 2,8% im nächsten Jahr), aber immer noch keine Entwarnung für den Arbeitsmarkt: damit steht das Land dort, wo es war. Der mutlosen Stimmung im Land des Gerade-Noch-Wirtschaftsriesen Deutschland werden die moderat-skeptischen Bewertungen der Ökonomen kaum einen Umschwung verleihen können.

Für die pflichtgemäße Aufbauschung indes waren – schon von Amts wegen – der Finanz- und der Wirtschaftsminister umgehend zur Stelle. Nach Regierungssicht wird ohnehin alles gut, wenn endlich der Euro Einzug gehalten hat. Es gehört zur krisenhaften Lage in Deutschland, daß dieser Einschätzung durch die sogenannte Opposition nicht widersprochen wird. Deutschland gibt seine wirtschaftliche Souveränität wie eine Jacke an der Brüsseler Garderobe ab. Wird es damit auch alle Sorgen los? Zweifel sind angebracht. Der Gulliver Deutschland, wenn er nichts mehr an die europäischen Partner zu verschenken hat, könnte dereinst statt als Everybodys Darling als Everybodys Depp des Jahrhunderts dastehen. Ende mit dem Eiapopeia in Eurotopia, wenn Michel die Zeche einmal nicht mehr zahlen kann.

In dieser – europäischen – Perspektive sind auch die aktuellen Wirtschaftsaussichten zu bewerten. Wachstum ja – aber lediglich auf der Exportseite, so die Analyse der Wissenschaftler. Und diese Exportstärke ist ein trauriges Abfallprodukt der angesichts ihres bevorstehenden Endes schwächelnden deutschen Währung. Ein makabrer Trost, daß eine weiche Mark für den wirtschaftlichen Hoffnungsschimmer in Deutschland herhalten muß, wo früher einmal deutscher Ingenieursgeist und Innovationskraft für Absatz sorgten.

Nicht utopisch und illusionär, sondern knallhart und realistisch handeln dagegen die Briten. England wartet erst einmal ab, wie sich Berlin und Paris am Euro die Zähne ausbeißen. Wer kann es ihnen verübeln? Das Pfund wird weiter erstarken und den Finanz- und Handelsplatz England sichern. Alles getreu nach der Devise, die Tony Blair vor zwei Wochen vorgab: "Wir wollen die europäische Führungsmacht sein!"

Von selbstbewußten Zielen kann in Deutschland, das den Euro-Schlußverkauf einläutet, keine Rede sein. In der Selbstaufgabe, die ihr Heil überall, nur nicht in den eigenen Interessen sucht, erstickt die Tatkraft der Binnenwirtschaft. Und während alles auf den globalisierten Wettbewerb oder das europäische Haus gesetzt wird (beides wankende Spekulationsobjekte, wie die letzten Tage gezeigt haben), steht daheim "Reformstau" für die lähmende Bonner Lethargie.

Zwei Prozent Wachstum hin oder her – die Arbeitslosen (für ’98 wird ein Anstieg auf 11,5 Prozent prognostiziert) und der Aufbau Mitteldeutschlands (erstmals schwächere Konjunktur als im Westen) kennzeichnen die Binnenschwäche Deutschlands.


 
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